Nazis bei Substack
Nazis bei Substack
Hallo
und willkommen zur neuen Ausgabe meines Newsletters, den ich künftig wieder regelmäßig, nämlich alle zwei Wochen, verschicken werde. Ich nutze einen neuen Dienstleister und werde in den kommenden Wochen sicherlich noch an den Stellschrauben drehen müssen. Ich freue mich, wenn du weiterhin dabei bleibst.
Diese Woche werfe ich einen Blick auf Substack und deren Umgang mit Nazis auf der Plattform und wie man, meiner Meinung nach, in einem offenen Web damit umgehen sollte.
Ein offenes Web schließt alle mit ein, warum regen sich dann gerade alle darüber auf, dass auch Nazis Dienste und Plattformen nutzen, um Geld zu verdienen und Reichweite zu bekommen?
Vor wenigen Wochen schwappte eine Welle der Empörung durch das Netz, als herauskam, dass Substack verwendet wird, um antisemitische Inhalte zu verbreiten. Nazis im Web sind nichts Neues, warum also die Aufregung, schließlich darf in einem offenen Web doch jeder sagen, was er will?
Der Reihe nach.
Substack, was ist das eigentlich? Substack ist eine Newsletter-Plattform, die sich in den vergangenen Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut.
Denn Substack hat sich vom reinen Dienstleister zum Verschicken von Newslettern weiterentwickelt und einen großen Fokus darauf gelegt, Newsletter besser auffindbar zu machen, Inhalte zu empfehlen und – ähnlich wie medium.com – eine Infrastruktur geschaffen, die es ermöglicht mit dem eigenen Newsletter Geld zu verdienen.
Wer einen Substack-Newsletter betreibt, kann die Empfängerinnen zu Abonnentinnen machen. Nur wer Geld bezahlt, bekommt dann auch die E-Mails zugeschickt. Bald machten die ersten Erzählungen die Runde, wie toll man doch mit Substack Geld verdienen kann. Das lockt natürlich viele Interessenten.
Nun konnten aber nicht nur nette, zuvorkommende Autorinnen mit Substack Geld verdienen, sondern auch Nazis. Das fand The Atlantic heraus. Antisemitische Inhalte wurden nicht nur verbreitet, sondern hätten im schlimmsten Fall sogar weiterempfohlen oder gar finanziell unterstützt werden können. Substack hat nicht eingegriffen und will nach eigener Aussage möglichst viel Redefreiheit und möglichst wenig Zensur bieten, im Gegenteil, man halte das für einen Fehler, der alles nur noch schlimmer mache:
I just want to make it clear that we don’t like Nazis either—we wish no-one held those views. But some people do hold those and other extreme views. Given that, we don’t think that censorship (including through demonetizing publications) makes the problem go away—in fact, it makes it worse.
Die Reaktionen auf diese Aussagen vielen nicht besonders positiv aus. Die Argumente sind auch nicht neu, wir kennen sie zum Beispiel auch von Ex-Twitter und sogar von Facebook, die aber inzwischen ihre Richtlinie angepasst.
Aber wir sind doch im offenen Web, in dem jeder sagen kann, was er will. Das ist natürlich richtig und wichtig. Redefreiheit ist ein hohes Gut und sollte gewahrt werden. Das schließt auch Meinungen ein, die einem nicht gefallen oder die unangenehm sind.
Dass das ebenfalls Antisemitismus und Nazipropaganda einschließt, ist jedoch vollkommener Quatsch.
Wie alles, hat auch die Redefreiheit ihre Grenzen. Und eine dieser Grenzen, eine Grenze, die unüberwindbar sein sollte, eine Grenze, die nicht debattierbar ist, ist die Menschenwürde. Im Grundgesetzt klingt das so:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Jegliche Form von Antisemitismus ist damit zu bekämpfen.
Und auch Artikel 2 zementiert dies noch einmal:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Hätten wir das also geklärt.
Nun gibt es wahrscheinlich auf jeder größeren Plattform auch Nazis, die sich dort breit machen. Bei manchen Plattformen fallen sie mehr auf als auf anderen.
Je größer eine Plattform wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass dort Nazis und antisemitische Inhalte zu finden sind. Je größer eine Plattform wird, desto schwieriger wird es auch, Inhalte zu moderieren und zu filtern. Viele Plattformen versuchen sich dieser schwierigen Verantwortung zu entziehen, indem sie sagen, dass sie nur Infrastruktur bereitstellen und mit den eigentlichen Inhalten nichts zu tun haben.
Wer aber anfängt, Inhalte zu empfehlen, Algorithmen zu entwickeln, die ähnliche Accounts vorschlagen, stellt ebene nicht mehr nur Infrastruktur zur Verfügung. Und muss seiner Moderationspflicht nachkommen. Wenn das passiert nicht passiert, weil man nicht "zensieren" will, ist das schlimm genug, richtig widerlich wird es dann, wenn auch nach einer Meldung von Beiträgen oder Profilen nichts passiert.
Über 200 Substack-Autor:innen haben sich zusammengetan und einen Brief an Substack geschrieben, der auf die Situation aufmerksam machen sollte.
Reagiert hat Substack so schlecht, wie es eben geht. Man wolle eben nicht zensieren. Erst nach massivem Druck von außen hat sich Substack überwunden und eine Handvoll Accounts gesperrt.
Wirklich ändern wolle man aber nichts, ein wenig genauer hinschauen vielleicht. Weiterhin wolle man für Dezentralität und Freiheit stehen. Die Redefreiheit endet laut The Verge bei Substack scheinbar nicht bei Nazis, sehr wohl aber untenherum, denn der dezentrale Moderationsansatz
[…] does not allow content it deems as spam, or written by sex workers, but does allow Nazis.
The Platformer schrieb dazu noch ganz richtig:
If it won’t remove the Nazis, why should we expect the platform to remove any other harm?
Viele Autor:innen wechseln nun also den Dienst. Denn es gibt einige Alternativen zu Substack.
Aber natürlich sind wir auch dort nicht vor Antisemitismus gefeit. Da, wo wir Demokratinnen uns registrieren können, können sich auch Nazis registrieren. Es bleibt aber zu hoffen, dass die nächste Plattform einen besseren Umgang pflegt und konsequent durchgreift.
Die größte Sicherheit vor Antisemiten in unserer virtuellen Nachbarschaft ist wahrscheinlich die eigene Webseite. Damit machen wir uns maximal unabhängig, müssen aber an einigen Stellen ggf. auf etwas Komfort verzichten. Das ist es meiner Meinung nach aber wert.
Ganz sicher können wir jedoch auch dann nicht sein, denn schließlich könnte es auch sein, dass der gewählte Hoster ebenfalls von Nazis genutzt wird. Wir müssen also wachsam bleiben, den Finger immer wieder in die Wunde legen und für ein echtes offenes Web kämpfen. Ein Web, das auf dem wichtigsten Grundsatz fußt, dass die Menschenwürde unantastbar ist.