You have commited a crime [Undisruptable Technology - Ausgabe #271]
#271, 7. Februar 2025
Guten Morgen,
gerade als ich gestern Abend diesen kleinen Newsletter fertiggestellt hatte und mich an diese kurzen Zeilen zur Einleitung begeben wollte, kam dieser Text in meinen Maileingang geflattert: “Avoiding Outrage Fatigue while Staying Informed”. Das ist insofern lustig, weil jüngst im Gespräch mit den Kolleginnen bei meinem Furor über die Geschehnisse in den USA mir die Mahnung mitgegeben wurde, dass das Doomscrolling in sozialen Netzwerken halt schon belastender sein kann als der Konsum etablierter Medien. (Apropos soziale Netzwerke: Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass sich Bluesky endlich - endlich! - anfühlt wie das alte Twitter. Ich empfehle jeder und jedem aufs Wärmste, dem Dienst nochmal eine Chance zu geben. Follow me here.)
Aber zurück zu zur “Outrage Fatigue” und was soll das denn überhaupt sein? “Outrage fatigue is kind of an informal concept, which basically refers to repeatedly experiencing perceived moral transgressions and feeling fatigued by them. So what that basically means is just, you know, you see something, you’re outraged by it, and over time you just become kind of numb to it.” Kommt wahrscheinlich allen, die so die tägliche Nachrichtenlage verfolgen, bekannt vor (also wenn man nicht zu der Minderheit gehört, die sich gerne als Mehrheit und Volkeswillenvertreter sieht, die bei diesen Grenzüberschreitungen “Endlich!” denken und im Geiste die Hacken zusammenschlagen).
Und dazu muss man nicht an die Säuberung der US-Webseiten von bösen woken Begriffen denken oder an die Fantasien einer Entvölkerung des Gaza-Streifens, um dort freien Bauplatz zu schaffen, man kann auch nochmal darüber sinnieren, wie normal heute ein Gesetz im Deutschen Bundestag mit dem Titel “Zustrombegrenzungsgesetz” geworden ist. Ich bin so alt, bei mir taucht da im Kopf sofort das Bild von Gerhard Frey auf, dem Chef dieser als Partei getarnten NS-Devotionalienhandels-Gesellschaft mit dem Namen “Deutsche Volksunion” (die Jüngeren können ja mal bei Perplexity nachfragen oder bei ChatGPT). In dessen Rechtspostillen hätte so ein Vokabular vor 30 Jahren seinen (verdienten) Platz gehabt.
So, und jetzt mache ich genau das, was in dem verlinkten Text als Gefahr gesehen wird. Zu viel “outrage”. Was man dagegen tun kann? “Yeah, get outside, get in nature—you know, the usual things that can kind of reset your brain and make you feel, you know, more calm.”
Das ist doch ein guter Vorschlag. Und zum virtuellen Runterkommen, bevor dann die 10+ Links zu digitalen Disruptionen und analogen Absonderlichkeiten folgen (die auch nochmal ein bisschen US-Trump-Musk-Outrage beinhalten, sorry) kommt hier noch was ganz sachliches und nüchternes, nämlich die US-Eierpreise, die die neue US-Regierung ja in den Griff bekommen wollte. Kann man sich selbst ein Bild davon machen.
Bis nächste Woche,
Andreas Streim
P.S.
Und mindestens ein aufmerksamer Leser hat es gesehen und mich darauf hingewiesen: Wenn ich letzte Woche von Trillionen Dollar geschrieben habe, dann war das natürlich… Mumpitz. Denn “trillion dollars” sind nunmal Billionen. Was unvorstellbar viel Geld bleibt, aber eben doch um einen Faktor 1000 weniger.
Ten news that fit to send
Of course it’s a coup: Timothy Snyder beschreibt, warum ein Staatsstreich ein Staatsstreich ist, auch wenn keine Autos vorfahren, aus denen Bewaffnete rausspringen und Regierungsgebäude besetzen. “In the third decade of the twenty first century, power is more digital than physical. The buildings and the human beings are there to protect the workings of the computers, and thus the workings of the government as a whole, in our case an (in principle) democratic government which is organized and bounded by a notion of individual rights. The ongoing actions by Musk and his followers are a coup because the individuals seizing power have no right to it. Elon Musk was elected to no office and there is no office that would give him the authority to do what he is doing. It is all illegal. It is also a coup in its intended effects: to undo democratic practice and violate human rights.”
Day Five of the Trump-Musk Treasury Payments Crisis of 2025: Not “Read Only” access anymore: Ich finde den Text interessant, weil er das Thema “was macht Musk mit seinen Praktikanten da in den US-Behörden” durchaus aus technischer Sicht beleuchtet. Für mich hat jemand, der auf COBOL abstellt, auf jeden Fall schon mal echte Credibility, denn das macht niemand, der auf den schnellen Klick aus ist. Oder? “The entire issue with COBOL and why it has been such a struggle to maintain it is that COBOL systems (both private and public) developed for decades with very little documentation, have a million different path dependent coding choices. Mar Hicks 2020 article in Logic Magazine “Built to Last” is worth a read on this topic. (…) But COBOL is unique; after all it's literally “common business-oriented language”. So while knowing the COBOL programming language is better than not knowing it, it does not make that much of a difference with these young Musk programmers mucking about.”
Musk's superteam of former iPad babies: Es ist ja durchaus interessant mal zu lesen, wer da so alles mit welcher Qualifikation jetzt die Fäden in der Hand hat - bzw. die Daten: “Thanks to him, DOGE now has access to every American’s Social Security number, Medicare benefits, and the system that pays government contractors.” Jenseits demokratietheoretischer Fragen muss man sagen, so ein Praktikum in einer Firma von Elon Musk (und anderen Tech-Firmen) kann sich schon lohnen.
The Dictatorship of the Engineer: “The Atlantic” wirft hier einen Blick auf die Geschichte des Traums, das ein begnadeter Technokrat das Ruder übernehmen sollte um alle komplexen Probleme dieser Welt zu lösen - und auf seine aktuelle Inkarnation in Elon Musk. “But in his short stay in Washington, Musk has already evinced the same moral shortcoming that afflicted Hoover and McNamara, the same inability to calculate the costs of cruelty. He has casually paused global aid programs that alleviate suffering; he has moved to destroy bureaucrats’ careers without concern for the rippling personal consequences. He has done this with an arrogance suffused with the spiritual self-certainity of Saint-Simon’s priestly caste of engineers. To a brain as rational as Musk’s, democracy is waste and inefficiency. The best system is the one bursting forth from his mind.”
Your Company Needs Small Language Models: Wir sprechen ja viel von LLMs, also Large Language Models, die zum Beispiel ChatGPT antreiben oder mit DeepSeek R1 Milliarden-Börsenwerte vernichten, weil sie nochmal so viel besser sind als die vorigen. Aber gilt wirklich “größer ist besser”? Der interessante Beitrag plädiert für Small Language Models - je nach Art der Anwendung. “Many studies show that for highly specialized tasks, small modelscan not only compete with large LLMs, but often outperform them. Let’s look at a few illustrative examples:
Medicine: The Diabetica-7B model (based on the Qwen2–7B) achieved 87.2% accuracy on diabetes-related tests, while GPT-4 showed 79.17% and Claude-3.5–80.13%. Despite this, Diabetica-7B is dozens of times smaller than GPT-4 and can run locally on a consumer GPU.”Echte Emotionen. Generative KI und rechte Weltbilder: Ein wirklich interessanter Beitrag darüber, warum die Rechte KI(-Bilder) liebt. These des Textes: “Die Technologie ist kein politisch neutrales Werkzeug. Als Nostalgiemaschine und Klischeeverstärker drängt sie sich für den Entwurf rechter Weltbilder geradezu auf.” Denn wie der Test zeigt: “er die Software etwa um das Bild einer „happy German Family“ anfragt, bekommt in der Regel keine halbwegs realistischen Familienbilder der Gegenwart präsentiert, sondern imaginäre Idyllen aus einer unbestimmten Vergangenheit, wie sie sich die AfD kaum schöner wünschen könnte, angesiedelt irgendwo zwischen Genremalerei des 19. Jahrhunderts und 1950er-Jahre-Heimatfilm.”
TikTok’s algorithm exhibited pro-Republican bias during 2024 presidential race, study finds: Wir diskutieren ja viel darüber, ob und wie Wahlkämpfe auf Social Media beeinflusst werden (und auch in Deutschland sind die Ängste davor vorhanden). Hier haben sich Forscher sehr genau angeschaut, wie TikTok während der US-Präsidentschaftswahl funktioniert hat. “The analysis uncovered significant asymmetries in content distribution on TikTok. Republican-seeded accounts received approximately 11.8% more party-aligned recommendations compared to Democratic-seeded accounts. Democratic-seeded accounts were exposed to approximately 7.5% more opposite-party recommendations on average. These differences were consistent across all three states and could not be explained by differences in engagement metrics like likes, views, shares, comments, or followers.”
8 Million Requests Later, We Made The SolarWinds Supply Chain Attack Look Amateur: Wer sich für IT-Security interessiert und wie ich nicht so viel davon vesteht: unbedingt lesen. Da hatte jemand die Idee mal zu schauen, was es denn für S3 buckets bei AWS gibt (also Datenspeicher), die von alter Software noch benutzt wird, die aber nicht mehr existiert (weil die Softwarefirma sie abgeschaltet hat, nicht mehr bezahlt etc.). Was passiert, wenn man die Buckets wieder neu einrichtet, also “man” im Sinne von ein böser Cyberkrimineller? Nun, es kommen ganz viele Anfragen rein von dieser alten Software, der man jetzt problemlos böse Sachen unterjubeln könnte. “These S3 buckets received more than 8 million HTTP requests over a 2 month period for all sorts of things” - und zwar auch aus Netzwerken, die zu Behörden oder sogar dem Militär gehören.
Nvidia-Forscher demonstrieren deutlichen Fortschritt beim Robotertraining: Roboter sind ja vielleicht das nächste große Ding. Hier wird beschrieben, wie Nvidia-Forscher versuchen, Robotern menschenähnlichere Bewegungen beizubringen. “Der zweistufige Ansatz trainiert die Roboter zunächst in einer Simulation und gleicht dann die Unterschiede zur realen Welt mit einem speziellen Modell aus. Dieses Modell lernt die Abweichungen zwischen simulierten und realen Bewegungen und kann sie kompensieren.” Im Video sieht man einen Roboter, der die Bewegungen von Kobe Bryant nachahmt. Allerdings wird es noch ein bisschen dauern, bis die Roboter Basketballspieler überflüssig machen: “Während der Experimente überhitzten die Motoren häufig bei dynamischen Bewegungen. Zwei Roboter wurden während der Datenerfassung beschädigt.”
Dating apps: Delete and repeat: Ach, ist nicht bald schon wieder Valentins-Tag? Da kommt doch dieser “Quartz”-Beitrag zu Dating-Apps genau richtig. Es geht natürlich um “swiping fatigue” und so, aber ich verspreche, jede und jeder wird in der Materialsammlung noch was Neues finden. Oder wer hätte das hier gewusst? “In 1965, two Harvard students used an IBM 1401 computer to create a matchmaking service called Operation Match.”
Undisruptable Technology im Bild

Und zuletzt...
Es gibt ja schon seit einer Weile die Möglichkeit, mit ChatGPT per WhatsApp zu sprechen. Ich habe mich immer gefragt, was da der Vorteil ist gegenüber der App, die man doch auch einfach auf dem Smartphone installieren kann. Aber gut. Jetzt kommt allerdings noch eine deutsche Lösung dazu: ChatGPT per Fax.
Ich habe kurz das Datum gecheckt, so von wegen 1. April und so. Aber offenbar nicht. “Noch handele es sich um eine frühe Testphase, wie Simple-Fax betont. Das Experiment Fax-KI diene primär der Unterhaltung. Es könne zu falschen Antworten kommen. Nutzer:innen können dem Unternehmen per Fax unter anderem Anfragen zu Mathematikproblemen, historischen Daten, Übersetzungen und Literaturanalysen schicken. Auch Rezeptvorschläge oder technischer Support können angefordert werden.”
Vielleicht ist das ja eine Möglichkeit, die KI-Nutzung in deutschen Unternehmen und Verwaltungen nach vorne zu bringen? Man darf ja nichts unversucht lassen.
Ok, ok. Ich kann diesen Tech-Newsletter nicht schon wieder mit so einer analogen Depri-Nachricht enden lassen. Wie wäre es dann mit einer API für aufstrebende Programmierer/innen, die mal was ganz anderes macht? Voilà, die Groundhog Day API: It “returns all of North America's prognosticating animals and their yearly weather predictions. Our innovative LLM (Largely Luck-based Marmot) model is trained on over 130 years of data, and can be used to make inferences about whether spring will come early or not. It’s the critical infrastructure you need for your next multi-billion-dollar business venture.” Aber mit Blick auf digitale Souveränität brauchen wir unbedingt eine europäische Tier-Wetter-Prognosen-API. Wer reicht einen Förderantrag in Brüssel ein?