Man vergisst mal, wie man moderiert - [Undisruptable Technology - Ausgabe #268]
#268, 10. Januar 2025
Guten Morgen,
ein frohes neues Jahr und herzlich Willkommen zur ersten Ausgabe von “Undisruptable Technology” 2025. Ich bin in der Zeit zwischen den Jahren weniger gelaufen, als ich eigentlich wollte, aber dabei habe ich das Hörbuch von “Man vergisst nicht, wie man schwimmt” gehört. Darin gibt es eine Szene von einer etwas aus dem Ruder laufenden Teenie-Party. Im Hinterzimmer sitzt Nikolai, der deutlich zu alte Freund der Gastgeberin und Chef der örtlichen Rockergang, die das regionale Marihuana-Geschäft in der Hand hat, zusammen mit Dave, dem smarten Skater-Typen, Gernegroß und Handlanger der Rocker, und ein paar anderen Leuten. Rein kommen die jugendlichen Hauptpersonen “Krüger” und sein Kumpel Viktor - und beide wollen eigentlich so gerne dazugehören, zu den echt coolen Typen der Kleinstadt. Sie sind aber ein bisschen late to the party, hier im Separee ist der Alkohol schon gut geflossen und der Duft von Gras liegt ebenso in der Luft wie der schweißgetränkte Geruch der Sommerhitze. Während “Krüger” das alles zunehmend distanziert betrachtet versucht Viktor den Rocker-Chef zu beeindrucken. Er prahlt, er redet ihm nach dem Wund, zeigt sich als Kenner all der Themen, die halt einen Kleinganoven so interessieren (Waffen, Jagen, Boxen) und fällt dann seinem eigentlich besten Freund auch noch in den Rücken. Der Leser bzw. Hörer schwankt bei der Beschreibung zwischen Fremdschämen und dem beunruhigenden Wissen, dass das alles nicht gut enden wird, enden kann.
Zugegeben, mit digitalen Disruptionen hat das Buch, in dem ein nagelneues Nokia und das Spiel Snake zwar vorkommen, aber nur eine (wenn auch wichtige) Nebenrolle spielen, wenig zu tun. Aber die Szene kam mir sofort in den Sinn, als ich diese Woche das - unten verlinkte - Video von Mark Zuckerberg gesehen habe. In dem Buch kommt dann auch noch ein halbseidener, vorbestrafter Nazi-Filialleiter vor, der mit den Rockern Drogengeschäfte macht, aber so viele Parallelen sind selbst mir dann doch zu viel des Guten. Und ich möchte ja jetzt auch nicht zu viel spoilern, das Buch hat jede Käuferin und jeden Käufer verdient.
Ach ja, und Zuckerberg jetzt? Man könnte meinen, Elon Musk hätte es schon 2023 vorhergesehen. Wer sich das Zuckerberg-Video unten angeschaut hat und mehr zum Thema “Ende der Content-Moderation bei Facebook” lesen will, den verweise ich gerne auf diese Link-Sammlung des geschätzten Ex-Bitkom-Kollegen Torben Klausa. Und wende mich dann weiteren Themen der Tech-Welt zu, die sich auch zum Jahresanfang wieder sehr um KI drehen, aber auch interessante Einblicke ins Phishing-Business geben oder die wohl am weitesten verbreitete den meisten völlig unbekannte Software - SQLite - vorstellen. Und wer immer schon wissen wollte was der Unterschied von GPU und CPU ist, der wird diese Woche auch fündig.
Bis nächste Woche,
Andreas Streim
P.S. Und wer dann genug gelesen hat und noch was anschauen will, was nicht wie ein Erpresser-Video aus den 1990ern wirkt, der kann sich hier erklären lassen, warum Deutschland ein Digitalministerium braucht. Die ganze Debatte auf weniger als 5 Minuten, von den Kollegen des Bitkom-Video-Teams.
Ten news that fit to send
CES 2025: The 15 most impressive products you don't want to miss: Ach ja, CES ist ja auch gerade. Irgendwie ein bisschen untergegangen, obwohl es doch interessante Innovationen gibt. Zum Beispiel KI auf dem Fernseher, Handy-Laden in wenigen Sekunden (Spoiler: es ist eigentlich ein Batterie-Pack-Austausch, aber trotzdem clever) oder ein Saugroboter, der den Kleinkram auf dem Boden mit einem Arm selbst aus dem Weg räumt.
The weirdest tech at CES 2025: Na gut, und es gibt auch einige seltsame neue Sachen auf der Digitaltech-Show über dem Teich. Etwa ein 18-Karat-Gold-Smartring, ein plüschiger Roboter zum Mitnehmen oder ein Luftreiniger als Katzensitz. Ach ja, und der Handy-Schnelllader hat es auch in diese Liste geschafft.
Omi is another AI companion wearable — but this one’s trying to read your mind: Wenn man sich die Welt so anschaut, dann wird die im damaligen Bestseller “The Circle” skizzierte Welt ja immer… plausibler. Die Idee, eines KI-Geräts, das wir immer bei uns haben, das alles aufzeichnet und zusammenfasst und unsere Fragen beantwortet, liegt da ja wirklich nahe. Und vielleicht sogar eines, das unsere Gedanken liest. “All of Omi’s code is open source, and there are already 250 apps in the store. Omi’s plan is to be a big, broad platform, rather than a specific device or app — the device itself is only one piece of the puzzle. The company is using models from OpenAI and Meta to power Omi, so it can iterate more quickly on the product itself.”
AI means the end of internet search as we’ve known it: Ein schöner zusammenfassender Überblick wie KI die Art und Weise verändert, wie wir im Internet suchen. Während ich auch heute noch vermutlich bei Google “Paracetamol Nebenwirkungen” eintippen würde, wenn mich das interessieren würde, sitzt mein 15-jähriger Sohn auf dem Sofa und schreibt die Frage bei ChatGPT. Ist doch logisch, oder? Das Problem ist, dass all die vielen, vielen Seiten im Web, die vom Traffic leben, den ihnen die Suchmaschinen liefern, von den KI-Chats nichts haben. Der Text erzählt vom state-of-the-art der Zero-Click-Suche und wo die Probleme liegen. Aber auch, wohin die Reise gehen könnte: “But you can imagine things going a bit further (and they will). Let’s say I want to see a video of how to fix something on my bike. The video doesn’t exist, but the information does. AI-assisted generative search could theoretically find that information somewhere online—in a user manual buried in a company’s website, for example—and create a video to show me exactly how to do what I want, just as it could explain that to me with words today.”
Agents: Wer sich ein bisschen für das Thema KI interessiert, kommt aktuell am Begriff “Agents” nicht vorbei. Was die Älteren unter uns immer mal kurz an “Akte X” denken lässt, ist eigentlich das Versprechen, dass Computer endlich, endlich dann tun, wofür sie mal erfunden wurden: Uns Arbeit abnehmen. “The unprecedented capabilities of foundation models have opened the door to agentic applications that were previously unimaginable. These new capabilities make it finally possible to develop autonomous, intelligent agents to act as our assistants, coworkers, and coaches. They can help us create a website, gather data, plan a trip, do market research, manage a customer account, automate data entry, prepare us for interviews, interview our candidates, negotiate a deal, etc. The possibilities seem endless, and the potential economic value of these agents is enormous.” Dieser sehr lange Artikel (ein Buchauszug) erklärt, was diese KI-Agenten sind und wie sie funktionieren.
OpenAI's new o3 model freaks out computer science majors: Noch ist es nicht da, das neue OpenAI-Modell o3. Aber schon wieder gibt es Berichte, dass es jetzt - jetzt aber wirklich - den IT-Fachleuten an den Kragen geht. “OpenAI says o3 scores higher on one math benchmark than "human expert" level. Its performance on a coding benchmark beat the company's own chief scientist's score. And the model will only improve from here.” Allerdings kostet eine Anfrage so um die 1.000 Dollar, also eher nichts, was man nutzt, wenn man nicht Leute hat, die genau wissen, wann und wo das Tool einem vielleicht helfen kann. Wobei schon heute die LLMs als Co-Programmierer sehr viel besser sein können, als viele denken: Man muss nur oft genug sagen, “schreib besseren Code”.
Killed by LLM: Das ist eine wirklich schöne Übersicht, wie sich KI in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Es ist sozusagen der Friedhof der der KI-Benchmarks, die von der technischen Entwicklung überrollt wurden und heute keinen Wert mehr haben. Der berühmteste ist wahrscheinlich der “Turing Test”, der immerhin 73 Jahre und 5 Monate alt wurde, bis GPT-4 ihn obsolet gemacht hat.
If GPUs Are So Good, Why Do We Still Use CPUs At All?: In Zusammenhang mit KI wird viel über GPUs gesprochen, also die Computerchips, die Grafikkarten antreiben. Was der Grund dafür ist, dass ein Unternehmen wie Nvidia, da man früher vor allem in Gamer-Kreisen kannte, inzwischen so wichtig und wertvoll ist. Allerdings ist dann die Frage berechtigt, warum es überhaupt noch CPUs gibt, also die Chips, die in “normalen” Computern, Smartphones & Co. stecken. Der Text beschreibt die Unterschiede und Vor- und Nachteile. Und es ist wie so oft im Leben: Es gibt halt kein Tool, das für jeden Einsatzzweck das beste ist. “CPUs are much slower than GPUs at highly parallel tasks like multiplying a matrix of 10,000 independent numbers. However, they excel at sophisticated sequential processing and complex decision-making. Think of a CPU core as a head chef in a busy restaurant kitchen. (…) In contrast, GPU cores are like a hundred line cooks who excel at repetitive tasks - they can chop an onion in two seconds, but they can't effectively run the whole kitchen. If you asked a GPU to handle the constantly changing demands of a dinner service, it would struggle.”
A Day in the Life of a Prolific Voice Phishing Crew: Man fragt sich ja schon manchmal, wie das mit diesen Telefonanrufen von (vermeintlich) Microsoft & Co. funktioniert, mit denen Betrüger versuchen, sich Zugriff auch Computer, Konten & Co. zu verschaffen. In dem Artikel wird das sehr anschaulich beschrieben. Und wie sich die Kriminellen organisieren: “When the phishing group settles on a target of interest, the scammers will create and join a new Discord channel. This allows each logged on member to share what is currently on their screen, and these screens are tiled in a series of boxes so that everyone can see all other call participant screens at once.”
Collection of insane and fun facts about SQLite: Es gibt ja Software, die das Internet am Leben hält und viele, viele Anwendungen (zum Beispiel: alle Android-Smartphones), die aber keiner kennt. Zum Beispiel: SQListe. Eine Datenbank-Software. In diesem Text gibt es alles, wirklich alles, was man über dieses erstaunliche Stück Software wissen will: “SQLite is the most deployed and most used database. There are over one trillion (1000000000000 or a million million) SQLite databases in active use. It is maintained by three people. They don’t allow outside contributions.” Und auch die Herkunft ist wirklich interessant: “SQLite originated from a US warship. D. Richard Hipp (DRH) was building software for the USS Oscar Austin, a Navy destroyer. The existing software would just stop working whenever the server went down (this was in the 2000s). For a battleship, this was unacceptable.”
Undisruptable Technology im Bild
Dieses Video könnte zu einem Zeitdokument der Tech-Welt werden. Mir verursacht es schon eher Bauchschmerzen wie Mark Zuckerberg am Tisch sitzt und von “Censorship” spricht, wenn es um Hatespeech oder schlicht Lügen geht, die Funktionsunfähgikeit all seiner technischen Lösungen (sorry für alle, die an denen gearbeitet haben) behauptet oder dem Narrativ vom biasden Kalifornier folgt. Harter Tobak im Stil eines Geiselvideos aus einer schlechten Telenovela.
Und zuletzt...
Das ist eine ganz lustige Geschichte darüber, was man als Unternehmen tut, wenn das eigene Produkt vielleicht nicht ganz so beliebt ist wie das der Konkurrenz: Man verkleidet sich einfach als diese. “This morning, users are discovering that if they search for “Google” in the primary Bing interface, they’re shown a special Bing search page. Before you scroll down to the actual search results, you’re presented with an all-white page with a centered, unbranded search bar and a multicolored doodle above it that’s heavy on yellow, red, blue, and green.” Das ist ja eine eigentlich naheliegende Idee. Wenn die Leute bei Bing nach Google suchen, dann kommt… Bing. Aber eines, das aussieht, als ob es Google ist. Übrigens mal ein US-Feature, dass es sofort auch nach Deutschland geschafft hat - also offensichtlich hat es nix mit KI oder technologischen Innovationen zu tun.