Die Sommerferien sind vorbei, der Sommer nicht - [Undisruptable Technology - Ausgabe #254]
#254, 6. September 2024
Guten Morgen,
ich weiß, ich weiß, wenn man was Negatives im Kontext “Datenschutz” sagt, dann ist das immer heikel. Und Leserinnen und Lesern dieses kleinen Newsletters (der sich mit dem Ende der Berliner Sommerferien aus der Sommerpause zurückmeldet) wissen ja, dass ich mir manchmal weniger Schutz meiner Daten und mehr Innovation wünschen würde, aber darüber kann man trefflich streiten. Nur kann man das eigentlich, wenn man nicht in Jura - oder besser Datenschutzrecht - promoviert hat? Ich bin ja Nicht-Jurist und so lese ich auch Gesetze und Verordnungen (und, ja, ich lese sich und bin der festen Überzeugung, sie sollten so geschrieben sein, dass die Menschen sie verstehen können, nicht nur ihre Anwältinnen und Anwälte).
Die Datenschutz-Grundverordnung sagt in Art. 2 ziemlich eindeutig, dass sie nicht für Privatpersonen gilt. Also meint man zumindest, wenn man liest: “Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten (...) durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten". Fall erledigt. Fall erledigt?
Jetzt bin ich bei LinkedIn in eine recht lustige Debatte gestolpert, wo jemand einen Weg vorgestellt hat, wie man seine WhatsApp-Sprachnachrichten, die man bekommt, automatisiert an OpenAI/Whisper schickt, transkribiert und dann als WhatsApp-Text zurückbekommt. Für Menschen, die Sprachnachrichten ähnlich abstoßend und zeitraubend finden wie ich eine tolle Idee. Daraufhin kamen die Datenschutz-Apologeten zu Scharen und fingen an, von Bußgeldern zu reden, Datenübermittlung ins Ausland, Auftragsverarbeitung etc. pp.
Mit meinem angelesenen Wissen habe ich dann vorsichtig gefragt, ob das denn überhaupt greift, wenn eine Privatperson eine private Whatsapp für private Zwecke so bearbeitet, weil Art. 2, siehe oben. Und ich habe dann gelernt, dass es sogar DSGVO-Bußgelder gegen Privatpersonen gibt.
Und jetzt muss ich sagen, ich verstehe langsam, was diese Rechtsunsicherheit beim Datenschutz ist. Weil: dass man den öffentlichen Raum nicht videoüberwachen darf, auch nicht als Privatperson, ist mir schon klar (darum ging es in dem Beispiel oben). Nur dass man als Rechtsgrundlage eine Verordnung heranziehen kann, die gleich zu Beginn explizit ihre Nicht-Zuständigkeit für Privatpersonen erklärt, das ist für Nicht-Juristen echt schwer nachzuvollziehen. Wenn ich mal über ein Senioren-Studium nachdenke, dann weiß ich jetzt auf jeden Fall, was sich lohnen würde.
Und damit komme ich zu erfreulicheren Themen und den 10+ Links zu digitalen Disruptionen und analogen Absonderlichkeiten.
Bis nächste Woche,
Andreas Streim
Ten news that fit to send
How Self-Driving Cars Get Help From Humans Hundreds of Miles Away: Die “New York Times hat sich mal angeschaut, wie selbstfahrend so selbstfahrende Autos eigentlich sind, am Beispiel der autonomen Taxis von Zoox. Spoiler: Ohne Menschen geht es derzeit dann doch nicht. “If a Zoox robot taxi encounters a construction zone it has not seen before, for instance, a technician in the command center will receive an alert — a short message in a small, colored window on the side of the technician’s computer screen. Then, using the computer mouse to draw a line across the screen, the technician can send the car a new route to follow around the construction zone.”
Bypassing airport security via SQL injection: Interessiert sich hier jemand für Sicherheit oder vielmehr: Unsicherheit? Der Text schildert sehr schön, wie sich Leute mit so etwas recht simplen wie SQL Injection unkontrolliert Zugang zu US-Flughäfen hätten verschaffen können - und auch ins Cockpit von Flugzeugen: “At this point, we realized we had discovered a very serious problem. Anyone with basic knowledge of SQL injection could login to this site and add anyone they wanted to KCM and CASS, allowing themselves to both skip security screening and then access the cockpits of commercial airliners.”
Hirnschnittstelle für Vision Pro, iPad & Co.: Schneller in den Kopf: Wir haben jüngst beim Bitkom (mein Arbeitgeber) eine Vision-Pro-Vorführung bekommen und ich muss sagen, ich bin schon ein bisschen beeindruckt. Wenn ich jetzt hier lese, wie Leute darüber nachdenken, eine direkte Schnittstelle vom Gehirn zur Technik herzustellen, etwa für Menschen mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten, dann eröffnet das sicher krasse Möglichkeiten in der Zukunft.
Google is working on AI that can hear signs of sickness: Bleiben wir doch nah an dem Thema. Was könnte man denn mit KI vielleicht noch machen? Bei Google hatte man eine Idee: “Google has trained one of its foundation AI models with 300 million pieces of audio that included coughs, sniffles and labored breathing, to identify, for example, someone battling tuberculosis.”
Artificial Intelligence Predicts Earthquakes With Unprecedented Accuracy: KI kann aber nicht nur Krankheiten vorhersagen, wenn sie ganz genau hinhört, sondern auch Erdbeben. Und zwar ziemlich gut und ziemlich früh. “A new attempt to predict earthquakes with the aid of artificial intelligence has raised hopes that the technology could one day be used to limit earthquakes’ impact on lives and economies. Developed by researchers at The University of Texas at Austin, the AI algorithm correctly predicted 70% of earthquakes a week before they happened during a seven-month trial in China.”
‘Being on camera is no longer sensible’: persecuted Venezuelan journalists turn to AI: KI-Avatare sind ja irgendwie ziemlich heißer Scheiß. Und ich muss zugeben, dass ich mich schon ab und an gefragt habe, was man damit denn jetzt wirklich Tolles machen kann, außer halt vielleicht… zeigen, dass man heißen Scheiß kennt. Aber der Text hier zeigt wie ich finde einen ziemlich guten Usecase für die technologische Entwicklung. “In the four weeks since Venezuela’s disputed election, local journalists have come up with a distinctly 21st-century tactic to avoid being arrested for reporting on 21st-century socialism: using artificial intelligence avatars to report all the news Maduro’s regime deems unfit to print. In daily broadcasts, the AI-created newsreaders have been telling the world about the president’s post-election crackdown on opponents, activists and the media, without putting the reporters behind the stories at risk.”
Pizza Hut now takes cash, credit, and TikToks: Also TikTok gehört jetzt nicht zu den Social-Media-Diensten, die ich nutze (und das sind eigentlich schon recht viele). Aber wenn ich damit meine Pizza bezahlen könnte, also ich muss sagen, dann würde ich ja vielleicht doch nochmal drüber nachdenken… oder gibt es Döner gegen Insta schon irgendwo? “Customers, who post a video doing any TikTok trend featuring a My Box, tag and follow Pizza Hut’s UAE account, and add the hashtag #YourTermsYourConditions, will receive a DM from Pizza Hut for a free My Box meal.”
The Story of the Successful Life and Abrupt Death of Flip Video Cameras: Eine schöne Story aber über eine wirklich gute Videokamera, als Smartphones nicht mal gute Fotos machten, geschweige denn Videos. Ich hatte auch eine Flip, eigentlich müsste die noch im Keller in einer Kiste liegen. Es ist aber auch ein Lehrstück dafür, wie wenig sich jemand, der Marktführer ist, in der digitalen Welt darauf ausruhen kann. Also falls jemand mal einen Vortrag über digitale Transformation und Disruption hält, hier gibt es Futter.
Kritik an deutscher Amateur-Fotografie: Ach, und zum Thema “Fotografieren und Filmen” bin ich im Urlaub noch auf diesen Beitrag gestoßen. Es gibt ja so viele Leute, die sich darüber aufregen, dass jetzt ständig jede und jeder alles und nichts ablichtet, wegspeichert, irgendwo teilt. Eine Kritik, so alt wie das Smartphone. Nein, noch viel älter. “So in diesem Interview von 1953. Es gab noch keine KI, auch das Wort "Selfie" war noch nicht erfunden. Und doch beklagt der Vorsitzende der Südwestdeutschen Amateur-Fotografen Carl Bosch (nicht identisch mit dem gleichnamigen Industriellen) einen Technik-"Fetischismus" und dass die Leute immer nur sich selbst vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten fotografieren würden.”
Blitzortung.org: Ich mag ja solche Online-Dienste, die verfügbare Daten, die man sich sonst mit Sicherheit nicht angeschaut hätte, hübsch visualisieren. Zum Beispiel: Gewitter. Weltweit.
Wie Axel Springer via KI die Gesellschaft destabilisiert: Thomas Knüwer und sein “Indiskretion Ehrensache” lese ich, zumindest sporadisch, schon seit… länger als ich mir merken kann. Ewig. Und auch wenn die Überschrift ein bisschen reißerisch ist und vor seiner scharfzüngigen Analyse keinen Bestand hätte, schätze ich mal, ist der Text über den problematischen Einsatz von KI in Medien lesenswert. Denn so beeindruckend auch ich generative KI finde, viel zu oft ist das, was rauskommt, Quatsch oder allenfalls eine Grundlage, um damit weiterzuarbeiten. Aber nichts, was man wirklich verbreiten sollte. Und das gilt nicht nur, wenn es um Preußen Münster geht (die gegen Hertha in der Liga eh keine Chance haben werden).
Undisruptable Technology im Bild
Ich bin in einer Zeit politisch sozialisiert worden, als die neuen Nazis NPD, DVU und “Republikaner” hießen. Man die Nazis Nazis nannte und ihre Existenz selbst wenn sie weit unter der 5-Prozent-Hürde rangierten für Aufregung und Widerstand sorgte. Dass mal “gesichert Rechtsextreme” die politische Landkarte in ganzen Bundesländern dominieren würden, das hätten wir uns damals nicht vorstellen können. Umso wichtiger, dass das nicht als selbstverständlich hingenommen wird.
Und zuletzt...
Also das ist schon ein ziemlich großartiger Softwaretest. Ich meine, ein Softwaretest für eine Schreibsoftware ist in Zeiten von Office365 (und von mir aus: OpenOffice) ja ohnehin irgendwie schräg. Ja, es gibt Leute, die Vim nutzen, aber sonst? Nun, “Golem” hat hier einen wirklich sehr unterhaltsamen Testbericht über “Wordstar” veröffentlicht, eine Textverarbeitung für MS-Dos. Unter dem Titel: “Schreiben wie 1992”. Anlass ist, dass der Autor George R. R. Martin wirklich dieses Programm nutzt, heute noch. Und, tja, ich erinnere mich auch noch gut daran, darauf geschrieben zu haben. Und fühle mich jetzt doch ein bisschen ziemlich alt.