5 // garbage in - garbage out
Anders als bei den ersten beiden taz-Kolumnen musste ich mir in der dieswöchigen nichts ausdenken. Alles fiel ganz selbstverständlich ineinander. Zu beschreiben waren nur die erwartbare Ergebnisse einer logischen Abfolge längst in Gang gesetzter Mechanismen. Nachfolgend also die annotierte Version des dritten Versuchs.
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Autokorrektor 3 - Zehn Jahre danach
Elig strebte der Ministerialdirigent durch die engen, schmucklosen Gänge des Bundesbunkers (BuBu). Der Referent, die Mappe „Morgenlage und Entscheidungshilfe 30.09.2034“ unterm Arm, hatte Mühe, Schritt zu halten. „Schneller, Meier, die Kanzlerin wartet nicht gerne.“ Der Referent beschleunigte und fragte keuchend: „Bekommt die Kanzlerin jeden Morgen diese KI-generierten Vorschläge vorgelegt?“ Sein Chef nickte im Gehen. „Aber das ist doch völlig unsinniges Zeug.“
„Meier!“, bellte der Ministerialdirigent barsch: „Die BuKI ist von allerhöchster Stelle abgesegnet. Als Trainingsdaten wurden alle Entscheidungen der Bundesregierungen zwischen 1990 und 2025 verwendet. Reinstes, von Menschen erzeugtes Material, das nicht seinerseits schon mit KI-generierten Daten verseucht war! Wir geben Probleme ein und erhalten einen parteiübergreifenden, jeder Ideologie unverdächtigen Output.“ Sie hatten das Büro der Kanzlerin erreicht, die Sicherheit nickte beide herein.
Die Kanzlerin saß am Schreibtisch, wie immer, geradezu unnatürlich aufrecht, gleichmäßig ausgeleuchtet, eine Kamera schräg von links auf sie gerichtet. „Ah sehr gut, pünktlich, wir wollen die Zuschauer ja nicht warten lassen. Wie ist die Lage, Herr Ministerialdirigent?“ „Schwere Überschwemmungen in ganz Brandenburg, bis nach Sachsen an die Erzgebirgskante. Alle tieferen Lagen Thüringens: maritim. Pegelstände jedoch nicht mehr als 3 Meter über den Deichkronen. Eine weitere gute Nachricht: Das jahreszeitlich bedingte Flammeninferno vor den Toren der Wasserfestung Berlin ist gelöscht.“
„Ausgezeichnet“, erwiderte die Kanzlerin. „Vorgeschlagene Maßnahmen gegen die Überflutung?“ „Schließung mehrerer Krankenhäuser, Kürzung der Arbeitslosenunterstützung um 40 Prozent und sofortige Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in großem Stil.“
Die Kanzlerin nickte zufrieden, ließ sich einen Stift reichen und zeichnete die Maßnahmen ab. Meier nahm seinen ganzen Mut zusammen: „Sie wissen aber, dass Abschiebungen nicht gegen die Flut helfen, oder?“ Der Ministerialdirigent erstarrte. Die Kanzlerin aber musterte spöttisch den Referenten. „Was glauben Sie denn, wofür die KI angeschafft wurde?“
Das Telefon klingelte. „Der Gauleiter Hamburg“, die Sicherheit hielt den Hörer fragend in Richtung Kanzlerin. Die griff freudig zu. „Na, alter Kampfgenosse,1 ich hab die Bilder schon gesehen. Der Blankenese-Ponton aufs offene Meer getrieben, haha. Jetzt beruhig dich mal. Sag den Leuten, sie sind frei. Ja, frei. Sie können überallhin mit ihrem Diesel, äh, Dieselboot fahren. Und jederzeit [N-Wort] sagen. Was? Doch, so einfach ist das! [N-Wort], [N-Wort], [N-Wort].“ Die Kanzlerin drosch den Hörer auf den Apparat.
Auf dem Gang vor der Tür, wohin die Sicherheit die beiden unauffällig geschoben hatte, schaute der Ministerialdirigent drohend auf Meier, der kleinlaut flüsterte: „Ich lasse dann schon mal die Minderjährigen zu den Sammelstellen bringen, ja?“
1 tatsächlich hatte der “Gauleiter Hamburg” in der ersten Fassung des Textes noch einen (Vor)Namen. Mit dem wäre zumindest Newsjunkies ein sehr deutlicher Hinweis auf die Identität der “Kanzlerin” gegeben gewesen. Ich habe unnötig lange mit mir gehadert, ob ich den cheap shot nehme, einfach weil ich ihn lustig finde.
Letztlich dagegen entschieden habe ich mich, nachdem mir der Brandenburgischen Innenminister in die Wahrnehmung torkelte. Der hatte sich ein paar Tage vor der Wahl mit der Forderung nach einer Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl in die Schlagzeilen gebracht. Seinen Namen hatte ich davor noch nie gehört (und hoffe, ihn auch für immer vergessen zu können) und so musste ich nachschlagen zu welcher Partei er gehört. Dieser Dreck hätte ja wirklich von praktisch jeder kommen können.
Insofern wäre die freiwillige Eingrenzung der Kritik auf eine politische Kraft vielleicht ein netter Lacher geworden, hätte aber riskiert, den Text im Kern unwahr werden zu lassen, ihm die Selbstverständlichkeit zu nehmen.
Mit großem Interesse angeschaut: Eine Retrospektive des bildnerischen Werks von Achim Freyer im Schloss Biesdorf. Während Freyers neuere Werke, von denen auch eines die Ausstellungsbewerbung ziert, sich mE ein bisschen zu nett einer international dominierenden Bildsprache angepasst hat, sind gerade die Beispiele aus seinen letzten Jahren in der DDR und den ersten im Westen hochinteressant. Freyer haute 1972 ab, nachdem sein abstraktes Schaffen des Formalismus und Individualismus geziehen, ihm im DDR-Kunstbetrieb keine Punkte mehr bringen konnte.
Eine sehr schöne Anekdote ist die, wo eine unter Mühen organisierte Ausstellung (aus heutiger Sicht recht zahmer Abstraktionen) nur unter der Bedingung laufen darf, dass der Künstler selbst durch die Räume führt und jegliche Publikumsfragen beantwortet. Anscheinend war die Sache dann ein guter Erfolg.
Schwierig für Freyer war danach das Ankommen im Westen, wo er eine völlig neue Sprache finden musste, um sich in der bunten und sauberen Warenwelt als Künstler behaupten zu können. Für mich sah das aber nach einem sehr gelungenen Projekt aus.
Außerordentlich lohnend ist auch der immerhin 80-minütige Film “MET AMOR PH OSEN” (1993), der in Biesdorf auf eine bedauerlicherweise nicht mehr ganz frische Leinwand projiziert wird. Mich erreichen Kunstfilme mit ihrer Bildsymbolik und den Repetitionen usw. oft nicht. Dieser jedoch entwickelt fesselnde Eindringlichkeit und hat eine geradezu hypnotische Konstruktion lose verbundener Traumbilder, ohne dabei überfordernd zu sein. Überhaupt scheint sich Freyer im ganzen Werk dadurch auszuzeichnen, nicht absichtlich unzugänglich sein zu wollen, was mir ja ganz angenehm ist.
Ein Bild von ihm, das ich sehr mag, ist “Nach der Feier” (1961) das bei diesem Kunsthändler auf dem Kopf stehend angeboten wird, was auf eine traurige Art ziemlich lustig ist.
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