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Juni 24, 2025

40 // glashaus

Medienkritik ist ein bisschen wohlfeil von den billigen Plätzen aus, aber ich hab ja sonst nix zu tun. In der vorletzten Woche hatte ich deshalb außer der Reihe für die taz geschrieben über die seltsame journalistische Distanz zum Faktischen. Nicht gemeint sind Unwahrheiten, sondern so eine seltsame Angst, sich festzulegen und die Folgen dieser Schüchternheit für die Konstruktion des öffentlichen Debattenraumes.

In der letzten Woche dann war ich mit einer gänzlich anderen Sache zugange und am Ende kam ein Text raus, der sich wie eine Fortsetzung zum Thema und weniger wie was fürs Blog und eher so ein bisschen wie eine taz-Kolumne las. Also hab ichs dann auch genau so verwendet.


Brutalistischer Kirchturm, davor eine große Progress-Pride-Flagge mit dem Aufdruck "Amen."
Eine Kirchgemeinde in Berlin-Schöneberg kann das besser als der deutsche Bundestag.

Autokorrektor 22 - Das Nächste

Krieg, Tod, Pandemien. Siehe da, ein entlaufenes Känguru. „Nachrichtenredaktion“ ist ein Arbeitsplatz, angelegentlich ein interessanter sogar. Ich habe da relativ viel Zeit meines Berufslebens verbracht und das durchaus mit Herzblut. Anteil haben zu können an der öffentlichen Meinungsbildung ist ja auch eine ganz erhebende Angelegenheit. Vierte Gewalt, gelebte Demokratie, Bundesverdienstkreuz der Herzen. Einfach alles wissen, sortieren, mitteilen.

Aber irgendwann fällt auf, dass dieser doch etwas arrogante Politik- und Welterklärungsmodus auch nur deshalb funktioniert, weil kaum jemand zurückblättert. Ich hatte privat für mich die Definition guten Journalismus’ mal so formuliert: „Wissen, was als nächstes passiert.“ Die Idee dahinter erschließt sich vermutlich von selbst – genauso, warum ich das Motto bald einschränken musste: „Mit Glück ahnen, welche Fortgänge eventuell plausibel und möglicherweise wahrscheinlich sind“.

Aber selbst das schien bald viel zu hoch gegriffen für das hektische Tagesgeschäft. In dem gefangen kann man selbst daran scheitern, bereits Geschehenes adäquat darzustellen. Auf so einer Nachrichtenwebseite zum Beispiel wird die Welt unter hohem Druck in kleine Häppchen geteilt, verschlagwortet und als reichlich schiefes Puzzle wieder ausgespuckt.

Je nach Tagesform kriegt man das mutmaßlich Wichtigste einigermaßen gerichtsfest abgebildet. Von halbwegs stabilen Prognosen brauchen wir da gar nicht erst zu reden. Die daneben zum genormten journalistischen Programm gehörenden Meinungsbeiträge demonstrieren dann mehr Wunschdenken und Tribalismus, denn analytisches Gespür.

Dementsprechend überzeugen Kommentare der Nachrichtenmedien in der Regel nur jenen Teil des Publikums, dessen bereits bestehende Meinung sie jeweils befestigen. Die mit viel großen Worten geführte Debatte ist dann keine Übung im öffentlichen Denken, sondern eine Waffenschau. Mensch, ein unangenehm frischer Zug weht hier auf einmal durch mein schickes Glashaus.

Klar, so ein bisschen Haudrauf hat auch seinen Sinn und seine Zeit. Es interessiert mich nur nicht mehr so sonderlich. Vor allem dann nicht, wenn es von jenen Welterklärern stammt, die ihre Prognosen kaum nach Plausibilitäten, sondern mehr nach Eitelkeit und Opportunität ausrichten.

Ich habe den Typus zur Genüge aus der Nähe erlebt. Menschen (nicht ausschließlich, aber mehrheitlich Männer), die ganz offensichtlich schon sich selbst und ihre unmittelbare Umgebung kaum verstehen, aber ganz genau wissen, wie’s so läuft mit den [hier random Nationalität einfügen, „Russen“, „Israelis“, „Iranern“ usw.]. Das wird alles so weggerotzt. Morgen fragt niemand mehr danach. Ahnungslosigkeit ist dafür zwar keine notwendige Bedingung, aber eben auch kein Hinderungsgrund.

Es ist ein Puma dieses Jahr, oder? Hauptsache weg aus Sachsen-Anhalt. Fragen Sie mal den dortigen Ministerpräsidenten. Ich glaube, ich weiß was mit dem als nächstes passiert.


Weiterlesen im Blog.


Mit großem Interess gelesen: “Livius und die Linkspartei” wurde ein Text von Ambros Waibel in der taz betitelt. Eigenartig, geht es doch wenig um Livius und wirklich nur ganz am Rande um die Linkspartei. Ich frage mich, ob da versucht wurde, über die Linke einerseits aktuelle Relevanz herzustellen, andererseits mit dem alten Lateiner in der Zeile einer Produktentäuschung vorzubeugen.

Sei es wie es ist, der Text enthält neben anderen klugen Beobachtungen, eine, der ich mich gleich besonders verbunden fühlte: “Was mir leichtfiel, bekam jedenfalls in der öffentlichen Sphäre immer mehr Anerkennung als das, was ich mir mühsam abverlangte.” Amen!


Das Thema “Faschismus - ja, nein, vielleicht” geht ja nicht weg, deshalb eine Empfehlung für ein Stück von Raul Zelik in der ak. Darin übernimmt er den Terminus der Faschisierung, der auch bei der an dieser Stelle vor drei Wochen besprochenen Diskussionsrunde diskutiert wurde.

Zelik betrachtet sehr bedenkenswert die Frage, inwieweit es überhaupt einer extremen Rechten bedarf, um weiter nach rechts zu rücken. Ich folge ihm, denke ich, nicht so recht bei der These, dass die Faschisten eventuell gar nicht das drängendste Objekt antifaschistischen Handelns sein müssten. Aber ordentlich Stoff zum Nachdenken ist das allemal.


Medienlob geht ja auch: Ein interessantes Projekt von mehreren Leuten aus der taz. Dort wird die Korrelation zwischen Armut und Hitzebelastung in den Kiezen Berlins untersucht. Die Ergebnisse sind ein bisschen vorhersehbar, aber deshalb nicht weniger verstörend.


Außerdem: Ein richtig hübscher Kaninchenbau zum drin verschwinden ist die Nachforschung zu einem bis dato unerklärten Phänomen. Und zwar ist Randall Munroe, Zeichner der legendären xkcd-Comics, irgendwann aufgefallen, dass von allen in Büchern auftauchenden Daten der 11. jeden Monats am seltensten erwähnt wird (außer dem 11.9. seit 2001). David R Hagen, von Beruf wissenschaftlicher Software-Engineer, hat die Sache keine Ruhe gelassen. Und er hat das Rätsel gelöst.



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