4 // baby, erklär mir den osten
Das Schlimmste an Brandenburg ist doch, dass es keine Pilze gibt. Jedenfalls bisher in diesem Jahr nicht. Dabei hat es geregnet, mehr als genug sogar. Warm ist es ebenfalls. Und doch. Mit feindseliger Kargheit verweigert sich der Forst. Hier und da eine Krause Glucke, ok, eine Spezialität für ganz Spezielle. Aber sonst ist da nichts, was in vergangnen Jahren um diese Zeit dort schoss. Nicht einmal Fliegenpilze für die Optik. Ein paar altersfleckige Boviste hier und da. Klar, auch irgendwie Pilze, aber worüber reden wir hier eigentlich.
So gibt es am Abend also Vollkornspaghetti mit einer Sauce aus Zucchini und Gorgonzola, letzterer erworben in einem Berliner Bioladen. Eine invasive Art gewissermaßen, aber man kann doch nicht ständig Kartoffeln mit Leinölquark essen, nur weil die Zutaten von hier sind.
Wir sind auch invasiv, aber nur minimal. Ossis eben. Die Eingesessenen schütteln trotzdem den Kopf über das etwas unordentliche Gartengrundstück in Ortsrandlage. Zur Beflaggung beim Bäcker sagen wir nichts, freuen uns nur still, dass der Lappen mit dem Ausscheiden der Fußballherrennationalmannschaft gleich wieder abgehängt wurde. Seit bald 10 Jahren vermeiden wir tunlichst die Osterfeuer, Feuerwehrfeste und sonstigen Dorfbums in der näheren Umgebung. Geteiltes Bier würde nur die höfliche Distanz erschweren.
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Wir folgen aber der Einladung von Freund*innen zu einem Dorffest eine halbe Autostunde entfernt. Das ist hinreichend Sicherheitsabstand. Strandbad, Feuerwerk und „es sind auch nicht mehr so offene Nazis dabei, wie früher“. Und tatsächlich sind keine auffälligen Tattoos oder Shirts zu sehen. Allerdings auch kein einziger offensichtlich nichtweißer Mensch. Man weiß gar nicht, wen die hier eigentlich abschieben wollen. „Die“. Es ist ganz bequem, diese Armlänge Abstand mit zugehaltener Nase. Keine Sorge, beruht auf Gegenseitigkeit.
Oder denke ich das nur? Ich kann das platte Land, den Osten, nicht erklären. Mir fehlen für Erkenntnis nicht die Worte, sondern schlicht das Interesse an diesen Menschen, zu denen ich doch, zumindest theoretisch, gehöre. Das hilft überhaupt niemandem und ich bin auch nicht stolz drauf. Alles bleibt Klischee, wird es nicht erst in der Beschreibung, in diesem Text, nein, das Geschehen selbst ist schon reines Abziehbild. “Die” kartoffeln so vor sich her. “Wir” bewegen uns dazwischen undercover, gelangweilte Geheimagenten ohne Auftrag.
Bin ich zu lange weg von allem? Oder gerade lange genug?
Es gibt überhaupt keine Brücke zurück (und ich weigere mich entschieden, die Schuld dafür anzunehmen). Der Osten ist das Ding, das nicht verstanden werden will. Wie so ein Fleck auf der Haut, von dem man nicht weiß, ob er gutartig ist oder doch schlimmeres ankündigt. Nein, lieber nicht hinsehen! Oder doch gerade. Krebs, Terror, Apokalypse. Genau wie Kreuzberg, Neukölln oder gleich ganz Berlin als (im Regelfall rassistisch aufgeladene) Chiffre andersherum.
Das Feuerwerk ist ne Wucht, die Bratwurst ok, der DJ scheint Liebeskummer zu haben. Alles könnte schlimmer sein. Irgendwann dröhnt so eine Babytechno-Version von „Sound of Silence“ durch die Dunkelheit über den See.
Boviste. Sonst nichts.
Sehen wir uns?
Frédéric Valin stellt HEUTE, am 24.9. im Mehringhof gleich zwei Bücher vor. “Ein Haus voller Wände” und “Pflegeprotokolle”.
Mit großem Interesse gelesen: Ein Interview mit Eltern einer Untergetauchten aus dem Budapest-Komplex in der ak. Es wird noch einmal das Druckpotenzial der widerrechtlichen Verschleppung von Maja T. deutlich und wie Illegalisierung als Konzept funktioniert. Die staatliche Repression ist umfassend, erscheint ihren Opfern weitestgehend willkürlich und dient ganz eindeutig nicht der Aufklärung vermeintlicher Verbrechen, sondern ist politisch motivierte Drohgebärde.
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