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Juni 3, 2025

38 // unglaube

„Angesichts des inflationären Gebrauchs des Wortes »faschistisch» täte eine genaue Bestimmung schon not.“ – schrieb Franz Fühmann Anfang der 1970er und seitdem ist die Lage nicht besser geworden. Sowohl die mit der Inflation, als auch die mit der Tatsache an sich. Also bin ich in der vergangenen Woche zur Weiterbildung ins Literaturforum gegangen. „Faschismus – erleben wir ein Comeback?“ hieß die Veranstaltung. Sie kann, abzüglich der durchaus ganz interessanten Fragerunde, auf Youtube (leider keine konzernfreie Option gefunden) nachgeschaut werden.


Klinkerwand, darauf ein Schild, auf dem steht "Computer sagt nein!! zu Rassismus"
Hört auf Computer!

Was ich sehr interessant und anregend fand, war das allgemeine Unbehagen mit dem F-Wort selbst, bei gleichzeitiger Anerkenntnis, dass die bisherigen Versuche, den Pudding an die Wand zu nageln nicht hinreichen. Rechtspopulismus ist als beschreibende Vokabel doch etwas abgegriffen und unscharf. Der vielleicht entscheidende Satz fällt gleich am Anfang von Mario Candeias: „Wir haben Faschisten, jede Menge, aber keinen Faschismus.“ Alle Versuche, danach zu einer Einigung zu kommen, wann denn nun wirklich vom ordentlichen F. gesprochen werden kann, müssen zwangsläufig dahinter zurückfallen.

Denn spätestens, wenn wir der validen und gut begründeten Position folgen, welche die organisiert ausgeübte massenhafte und auch tödliche Gewalt und im Kern dann staatsterroristische Herrschaftsausübung als notwendige Bedingungen bezeichnet, spätestens dann kann Faschismus eigentlich nur ex-post, gewissermaßen aus dem Massengrab heraus als solcher benannt werden. Aber er ist eben als Idee, als Möglichkeit vorher präsent, wenn auch manchmal nur als unterschwellige Drohung. Auf jeden Fall aber sind seine Träger, die Faschisten, da. Wie die Teilnehmer*innen dieser Runde im Brechthaus in konstruktiver Diskussion mit dieser Spannung umgehen, fand ich wie gesagt sehr anregend.

Es gibt in dem Gespräch mehrfach Momente, wo die Vortragenden beinahe etwas lachen müssen. Ich will da nichts unterstellen, aber ich hatte schon den Eindruck, dass es dieses leicht peinlich berührte, ausweichende Lachen ist, das einen gewissen Unglauben verrät. Mindestens einmal wird es auch genauso ausgesprochen, dass bestimmte Sorgen (Stichwort: „Flucht“) irgendwie übertrieben wirken. Ich bin weiterhin der Überzeugung, dass dieser Unglauben zwar nachvollziehbar, aber völlig fehl am Platz ist. Glaubt eurem Gefühl!

Es ist zwar richtig, dass derzeit keine bewaffnete SA durch die Straßen marschiert. Aber erstens wird an diversen Minderheiten, allen voran Geflüchteten, von den zuständigen staatlichen Stellen die gewaltförmige Entrechtung bereits fleißig eingeübt. Zweitens gibt es keine Empirie, die mich davon überzeugt, dass es nicht eine gefährlich große Gewaltbereitschaft in der deutschen Bevölkerung gegen die als feindlich markierten Gruppen gibt. Da gibt es eventuell ein nicht zu unterschätzendes kurzfristig aktivierbares Potential.

Es bleibt dabei: Dieser Unglauben, den man gehässigerweise Naivität nennen kann, der aber in Wirklichkeit Ausdruck tiefer Menschlichkeit ist, munitioniert den F. leider zusätzlich auf. Denn die unmittelbare Bereitschaft zum voraussetzungslosen Einsatz brutaler Gewalt ist sein entscheidender taktischer Vorteil.

„Wir haben Faschisten, jede Menge“ – der Satz kann an dieser Stelle enden, denn alles was danach zu sagen wäre, ist eine Frage des Datums, und wird dann rückblickend von Historiker*innen diskutiert werden.

Tatsächlich ist das ja das eigenartige mit dem F., dass er keine kohärente Ideologie ist. Er ist ein opportunistisches Mosaik, sehr in der Situation aufgehend. Wie ein ständiges A/B-Testen läuft das ab. Womit komme ich durch, wo gibt es Hemmnisse? Wie lassen die sich umgehen? Deshalb ist der Antifaschismus ja so wichtig. Er ist die Grenzziehung, die Antwort bereits auf den Test, die Antwort auf den Faschisten, bevor es zum Faschismus kommt. Eine Aufgabe bei der die sogenannte bürgerliche Mitte bekanntermaßen ständig versagt.

Die Faschisten ohne Faschismus sind ja nebenbei auch ein invertiertes Echo jenes historischen („Hitler war’s, nicht ich.“) Faschismus ohne Faschisten. Beides aber ist irgendwie unwahrscheinlich. Und das sollte uns mit Blick auf die nähere Zukunft doch ein wenig beunruhigen, denke ich.

Fühmann nörgelte übrigens nicht nur, sondern machte auch einen Versuch, die Begrifflichkeit etwas einzugrenzen und weil er es so schön knapp zusammenfasste, zitiert es sich besser als Eco, der durchaus ähnliche Punkte aufführt: „Gemeinsam im Ideologischen scheint mir bei allen Spielarten [des Faschismus] jüngster Vergangenheit und Gegenwart: elitäre Massenverachtung bei gleichzeitiger Sehnsucht nach dem Aufgehn im Anonymen (»Magie der Viererreihe»); militanter Nationalismus bei gleichzeitigem Bemühn, eine Internationalität herzustellen; starres Schwarz-Weiß-Denken; Verherrlichung des Brutalen, Grausamen, Blutigen, Vorgesellschaftlichen bei gleichzeitiger Faszination durch Technisch-Industrielles; Verlangen nach Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen, ja persönlichen, ja privaten Lebens bei gleichzeitiger Bejahung des anarchischen Kampfs aller gegen alle; Denunziation von Vernunft, Gewissen und Bewußtsein; Führerprinzip; Demagogie; Fanatismus; extremer Antikommunismus – und eben dies alles zusammen, nicht isoliert“ („22 Tage oder die Hälfte des Lebens“, Rostock 1973, Seite 84)


Weiterlesen im Blog.


Mehr zum Thema: Eine immer mal wieder fortgeschriebene Debattenübersicht zur Begriffsfindung lässt sich bei Tom Strohschneider nachlesen, aktuell mit dem Beitrag Körperpanzer, demokratischer Faschismus, Kulturrevolution.


Mit großem Interesse gelesen: So schwer es ist, den F. ideologisch eindeutig zu verorten, so leicht fällt das Mandy Brown in Bezug auf die sogenannte künstliche Intelligenz. So elegant wie einleuchtend postuliert Brown: AI is not a technology, it’s an ideology.



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