37 // ähnlichkeiten
Es kommt alles immer wieder zurück zum Schlangenöl dieser Zeit. Künstliche Intelligenz, Fluch oder Bockmist? Nunja, ein weiterer Versuch in Digitalkolume für die taz.

Autokorrektor 20 - Menschengemacht
Die alte Frau ist nicht der Mühe wert. War es das? Angestrengt schaute ich auf die Großmutter und versuchte, sie mit den Augen der anderen zu sehen. Gerade eben hatte sie mit einer automatischen Telefonstimme diskutiert, als gehörte die einem Menschen. „Sie müssen verstehen…“ Die Maschine mit der angenehm beruhigenden Sprachmodulation aber verstand überhaupt nichts.
Ich bin unsicher, ob die Großmutter den Unterschied bemerkte, als sie dann doch noch jemand lebendiges am Apparat hatte. Mir selber machte es beim Zuhören Mühe, den menschlichen Ursprung dieser kalten, distanzierten Gesprächsführung zu erkennen.
Es ging bei dem Telefonat nur darum, die offensichtlich viel zu hoch angesetzte Stromabschlagszahlung zu korrigieren. Wie vom Bot vorher wurden nun gelangweilt zur Identifikation die letzten sechs Stellen der IBAN abgefragt. „Langsam und deutlich bitte.“ Der genervte Tonfall immerhin verriet Biomasse am anderen Ende der Leitung
Das muss, nach allem was mir so erzählt wird, der Tonfall sein, der ihr beim Hausarzt begegnet. Sie hat die Neunzig überschritten. Ihre Beschwerden interessieren nicht weiter. Ein paar Tabletten vielleicht? Nicht der Mühe wert eben.
Könnte eine sogenannte künstliche Intelligenz einmal die Mitarbeiterin bei der Hotline des Stromversorgers ersetzen? Den Arzt? So wie die kommunizieren, ist das tatsächlich vorstellbar. Denn bestimmt kann eine hinreichend konfigurierte Maschine viel zuverlässiger die gleichgültige Herablassung präsentieren und Menschen zu rechtlosen Bittsteller*innen degradieren. Da besteht dann auch keine Gefahr, dass vielleicht einmal versehentlich ausgebrochene Empathie den Betriebsablauf störte.
Die KI-Hype-Industrie versucht ja die angebliche Überlegenheit ihrer elektrifizierten Abakusse mit an den Haaren herbeigezogenen Fantasien der Machtübernahme durch das digitale Bewusstsein zu illustrieren. Tag der Abrechnung, Skynet wird uns alle töten und dergleichen mehr. Das verschleiert wenig subtil, dass nicht die Maschinen uns immer ähnlicher werden, sondern wir ihnen.
Die geschäftsmäßige Herablassung in jeder menschlichen Interaktion außerhalb des privatesten Schutzraumes allein ist Fleisch gewordene Dystopie einer Welt beherrscht von Algorithmen und Funktionen im Dienste des Profits.
Die Maschine ist dabei nur vorgeschobene Objektivität. Sie zeigt die verbindliche Stimme und spiegelglatte Maske der Alternativlosigkeit einer Welt ohne Solidarität. Wirklich niemand ist hier der Mühe wert. Die gegenwärtigen, menschengemachten Verhältnisse sind es, aus denen die digitale Zukunft erwächst. Das ist das Beängstigende.
Kein herbeigesponnener künftiger Terminator macht mir so viel Sorgen wie der ganz reale heutige Hausarzt meiner Großmutter. Denn die Maschinen mögen hilfreich sein bei der Erschaffung der Hölle auf Erden, aber wir kriegen das auch ohne sie schon ganz gut hin.
Weiterlesen im Blog.
Mit großem Interesse gelesen: Beim ORF ein Beitrag von der Google-Entwicklerkonferenz. Darin die Schreckensbotschaft, dass die klassische Suche, ohnehin schon völlig zerstört, perspektivisch wohl ganz auslaufen wird. Dann gibts nur noch KI-induzierte Werbung. Yay!
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Ich bin voll der Fanboy: Wieder sehr erbaulich, die neue Kolumne von Philipp Rhensius. Kernfrage: “Wie viel Welt passt in einen einzigen Augenblick, ohne dass etwas zerreißt?”
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Ein nicht zu langes Stück zu den Ablenkungen und anderen Hindernissen im kreativen Prozess. How to finally make something. Anders als vieles in der Selbstoptimierungsliteratur fand ich die Hinweise dort ganz anregend und hilfreich für die Selbstbeobachtung.
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