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Mai 20, 2025

36 // anfang

Ein bisschen Meta heut, Selbstvergewisserung. Oder wie heißt das, wo man am Ende nichts mehr so richtig klar hat? [Zum Glück bin ich nicht in der Kommunikation geblieben. Ganz offensichtlich hasse ich Marketing. Und es fühlt sich genau richtig so an.]


An der Klinkerwand eines alten, anscheinend leerstehenden Fabrikgebäudes steht in großen Graffiti-Buchstaben "Paris". Davor steht ein PKW-Kombi.
Welche Stadt?

Octavia Butler, offenbar keine Anhängerin von Geniekult und göttlicher Inspiration gab jungen Autor*innen eine klare Richtung mit auf den Weg: „Schreib, jeden Tag, ob du es magst oder nicht. Scheiß auf Inspiration.“1 Sie ist gewiss nicht die einzige, die diesen Arbeitsethos anrät, aber ihre Formulierung knackt halt ganz ordentlich und wird also gerne zitiert.

Gewiss, ich habe streckenweise täglich Texte zu Papier gebracht. Das aber nur unter der ständigen Drohung von Deadlines. Das ist ein Druck, dem ich mich rückblickend betrachtet vielleicht nicht ganz zufällig ausgesetzt habe. Extrinsische Motivation. Die sanfte Peitsche der Schlussredaktion. Nicht nichts machen, stattfinden. So entstehen Gebrauchstexte, die selbstverständlich mehr Technik sind als Kunst. An wenigen guten Tagen Kunsthandwerk. Aber bis heute weiß ich nicht, wie das geht: jeden Tag schreiben. Wirklich schreiben.

Dabei wäre genau das doch nötig, um Möglichkeiten zu finden, nicht das immer Gleiche mit nur leicht variierenden Worten zu sagen. Wie so ein Journalismusbot. Nazis raus, Kapitalismus doof, Digitalisierung eine ausbeuterische Vollkatastrophe, KI für die Tonne. Da, 101 Anschläge, fertig.

In der Lesebühnenzeit, vor 20+ Jahren, da gab es so Momente. Auch nicht direkt jeden Tag, nein, aber immerhin manchmal. Und diese kurzen Blitze waren immer durch Kommunikation geprägt. Kurze Kommentare, Kritiken, überraschende Interpretationen anderer Autor*innen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist ein anregender, wenn auch bisweilen nur heimlich ausgetragener Wettbewerb. Qualitativ nicht abgehängt werden zu wollen ist kein schlechter Antrieb.

Reibung erzeugt Funken. Mangelnder Austausch ist eines der größeren Probleme des solitären Arbeitens. Und solitär war das, bei allem Krawall, auch in der Redaktion. Da hat kaum jemand mal die Zeit, sich der Alltagshektik selbst für Augenblicke zu entziehen. Es wird im wesentlichen gedruckt, wie’s kommt. Da rede ich übrigens nur von den Gutwilligen. Am unverlangten Textgemetzel mit dem einige andere sich dann wiederum über die Arbeit ihrer Kolleg*innen erheben, übt man eventuell die Konfliktbefähigung, aber nicht grad das Schreiben.

Jetzt, im Hobbysegment angekommen, ist der frühere Druck raus. Neben ein bisschen Befriedigung der Eitelkeit sind da keine tieferen Zwänge, existenzieller Art zumal, dabei. Zurück zu denen will ich sowieso nicht. Aber wie dann weiter und warum? 101 Anschläge… puh.

Der andere dringende Hinweis, den Butler in dem viel zitierten Interview noch gab, war der, dass Schreiben vor allem Lesen heiße. Das stimmt unbedingt. Ich bemerke da einen sowohl langfristigen Effekt, als auch einen unmittelbaren Zusammenhang. Je genauer und bewusster ich lese, umso dialogischer und damit produktiver wird der Prozess.

Vielleicht ist genau das ja der Anfang: Jeden Tag lesen. Richtig lesen. Und das bekomme ich inzwischen sogar schon ganz gut hin, glaube ich. :)


1 - „...write, every day, whether you like it or not. Screw inspiration.“ Octavia Butler, Interview by Randall Kenan, Callaloo, 1991)


Weiterlesen im Blog.


Mit großem Interesse gelesen: Der Kulturwissenschaftler Roland Meyer arbeitet viel zur KI-geprägten Bildsprache. Ich finde das alles lehrreich. In einem recht ausführlichen Interview mit der WOZ kann man einen ganz guten Überblick gewinnen über seine Erkenntnisse und Positionen. Er erläutert da zB schön instruktiv die nostalgisch-verlogene Ästhetik dieser nutzlosen Scheiße.

Und dann noch eine kurze Meldung, die es aber in sich hat. Der Observer berichtet, dass es eine Richtlinie für die britische Polizei gibt, wie genau den digitalen Spuren illegaler Abtreibungen nachgeforscht werden kann beim Kontakt mit Frauen, die nicht hinreichend begründet eine unterbrochene Schwangerschaft erlebt haben. Wir reden über Menstruationsapps, Bewegungsprofile, Arzttermineinträge und dergleichen. Es ist wirklich dramatisch, was sich an repressivem Überwachungsstaat anhand dieser ganzen zentralisiert gelagerten Daten manifestiert. Noch keine Nazis an der Macht. Das ist alles liberaler Rechtsstaat.


Des weiteren war meine sentimentale Ader angepiekst von dieser Geschichte im Guardian: A Pulp song made me realise I was in love with my best friend. Das Lied um das es geht ist das wunderschöne “Something Changed”.

Ebenfalls im Guardian, ein sehr langes (eher so Fan-geeignetes) Interview mit mehreren Beteiligten an “The Thick of It”. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass Peter Capaldi nach und nach in die Rolle rutscht, bis er am Ende ordentlich Malcolm Tucker channelt.



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