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Mai 13, 2025

35 // erkannt

Um benutzbare Suchmaschinen geht es im neuesten Versuch einer taz-Kolumne. Und um eine wahre Begebenheit, die sich allerdings schon im vergangenen Sommer zutrug, weshalb kleine atmosphärische Anpassungen nötig waren. Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt, würde ich mal sagen.


Statue eines krabbelnden Babys, dessen Gesicht von einem eingestanzten Strichcode ersetzt ist.. Im Hintergrund weitere Babys. Es handelt sich um eine bekannte Plastiken-Serie von David Černý.
Such, such.

Autokorrektor 19 - Plattenbauinstikt

Es roch nach national-befreiter Zone. Also eigentlich roch es nach Fritten und Flieder. Am Tisch schräg hinter mir hatte ein Paar Platz genommen. Gesehen hatte ich die beiden nicht, nahm nur vage den Ton ihrer Unterhaltung wahr, ohne aber einzelne Worte oder gar den Sinnzusammenhang ausmachen zu können. 80er-Konsens-Pop plärrte aus den Boxen die in den Bäumen über den Bierbänken hingen.

Es war ein schöner Frühlingstag, irgendwo im märkischen Sand. Das Ausflugslokal war einigermaßen gut besucht. Es gab Bier, Burger und Berliner. Also Gäste aus der Stadt, nicht wahr. Die Stimmung war friedlich, der Service freundlich. Aber irgendetwas stimmte nicht; in meinem Rücken.

Ich befragte meine mir gegenübersitzende Begleitung, wie es hinter mir wohl aussah. „Ziemlich normal. Er trägt ein Band-T-Shirt.“ Ja, aber welche Band? Noch nie gehört. Klang irgendwie einschlägig, aber da kann man sich ja auch nicht mehr drauf verlassen heutzutage. Als ich vor Jahren das erste Mal von einer Kapelle namens „Kraftklub“ hörte, war ich zunächst auch eher misstrauisch.

Ich habe dann selbstverständlich schnell gelernt, dass die in Ordnung sind und kenne sie dank KI-Assistenten als die berühmtesten Söhne der Stadt Chemnitz, neben Karl Marx. Aber die Band von dem Nicki am Nebentisch? Keine Ahnung wie gesagt. Und auch Google war keine Hilfe. Werbeanzeigen für Reichskriegsflaggen, Schnürsenkel und Türklinken. Nichts, was der Verfassungsschutz verbieten würde.

Aber irgendetwas gab mir keine Ruhe. Nach all den Jahren. Plattenbauinstinkt. Vielleicht noch ein Versuch mit Kagi, dachte ich mir. Diese Suchmaschine kostet nach einer Willkommensphase Geld und ich hatte keine Ahnung, wie viele der kostenlosen ersten hundert Probesuchen ich bereits verbraucht hatte mit Egogoogeln. Lustiges Wort. Nee, Moment. Egokagin? Lustigeres Wort! Mit Betonung auf der letzten, langen Silbe klingt das wie ein Medikament zur Behandlung eitlen Autorengemüts: „Egokagín – hier finden sie nichts.“ Ein stumpfer Spiegel für Narziss.

Na aber, wer hätte das gedacht, bei Kagi war der erste Treffer für die Band ein Medienbericht über die Auflösung eines Konzerts der Combo. In Chemnitz ausgerechnet. Da waren die zusammen mit einer Truppe unterwegs, die sogar mir als wichtige Nazischrammler bekannt sind. Da war das Gespür also richtig gewesen, gelernt ist eben gelernt.

Interessanterweise nutzt Kagi, genau wie auch andere alternative Suchmaschinen zu großen Teilen Googles Schnittstellen für die Websuche. Allerdings rechnen die dann nicht den ganze Werbe- und KI-Krempel drauf, zerstören also nicht absichtlich die Ergebnisse. kagi.com! Werbeblock Ende.

Als wir das Lokal verließen, spürte ich wieder etwas im Rücken, drehte mich um. Mein Alter, mäßige Körperspannung, unauffällig gekleidet. Bis auf die Schrift am T-Shirt. In Fraktur. Ok, das wäre von Anfang an eine hilfreiche Information gewesen! Seine Augen wissend. Der Moment war wirklich sehr kurz, aber wir hätten uns überall erkannt. Ganz ohne Suchmaschine.


Weiterlesen im Blog.


Mit großem Interesse gelesen: Der deutsche Technologiekonzern SAP beendet sein Programm zur Frauenförderung. Hier wird, wie an so vielen anderen Stellen Trump als Grund vorgeschoben. Man habe halt viel Business in den USA. Sorry, not sorry.

Blöd, dass D grad eine CDU-Kanzler bekommen hat, der ja nicht nur gegen Vergabemindestlöhne sein dürfte, sondern sicher auch keinen Druck in Richtung inklusiver Geschäftspraktiken ausüben wird. Man muss den Kapitalismus anscheinend doch komplett überwinden. Dass seine exponierteren Vertreter jede Gelegenheit dankbar ergreifen, sich unreformierbar zu geben, signalisiert da schon einen gewissen Handlungsdruck, zumindest wenn diese Welt irgendwann einmal eine bessere werden soll.



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