33 // innere zerknirschung
In dieser Woche erneut unwillig und uneindeutig, mäandert der inzwischen 18. Versuch für die taz als so eine Art Dirk-von-Lotzow-Gedächtniskolumne. Voilá.

Autokorrektor 18 - Er liebt mich, er liebt mich nicht
Blechern und hohl klingen die Leitartikel. Da schaben ölglänzende Panzerplatten der Rüstungen aneinander. Hart sind die Zeiten, hart der Harnisch. Die Schilde und Helme sind geschmiedet, die Speere gespitzt. Der öffentlich geführten Debatte ist selbstverständlich schon immer die Neigung eigen, zur eitlen Parade vorgefertigter Antworten zu veröden. Zu Rechthaberei verkümmerte Argumente, am besten gleich mehrere Gegenteilige, bestimmen den Diskurs. Lärm ist im Dutzend billiger zu haben.
Nichts entwickelt sich. Alles ist immer schon vollständig und fertig. Von Maschinen generierte Gewissheiten, so absurd und blödsinnig sie auch sein mögen, überzeugen deshalb nicht durch ihren Gehalt, sondern in ihrer vom Publikum gewünschten Eindeutigkeit. Null oder Eins. True or false. Keine Fragen offen. Logik ist kein Werkzeug mehr, sondern ein Habitus. Der produktive Zweifel wird ersetzt durch pro und kontra. Ist die Erde rund? Ja. Nein. Dankeschön.
Es gibt diese Erzählung, das Netz habe den Diskurs verflacht und verroht. Ist es nicht eher so, dass anders als früher die Demonstration des eigenen intellektuellen und emotionalen Stillstands eben nicht allein ein paar Gatekeeper:innen vorbehalten ist? “Endlich sagts mal einer.“ Und einer kann jetzt jeder sein und jede, egal ob ein Herz den Takt vorgibt oder ein Prozessor. Schlichte Antworten verstopfen Raum und Zeit; die schlichtesten im Regelfall vermählt mit der Behauptung, man stelle ja lediglich Fragen. Nur Zweifel, die kennen keine Konjunktur.
Dass wir uns nur nicht missverstehen, der Zweifel ist keine Flucht, ist kein Versteck, im Gegenteil. Er führt, wenn nötig, in die Konfrontation. Denn er weist eine Richtung. Beweglichkeit zeichnet ihn aus, nicht Lähmung und starre Verhärtung. Ich behaupte auch nicht, dass es leichter ist, einen Leitartikel zu schreiben, aber Recht zu haben braucht eben keinen Mut. Feuer vielleicht. Der Zweifel aber spuckt kein Feuer, er geht da hindurch. Zweifel lehrt etwas über die Welt, über uns. Er belehrt aber nicht. Er sucht und lädt ein, sich mit ihm auf die Suche zu machen.
„Er liebt mich, er liebt micht nicht.“ Die klare Antwort hier mag einmal von lebensentscheidender Bedeutung für mich gewesen sein. Alles aber was an dieser Versuchsanordnung interessant ist, sie menschlich macht, ist doch das, was vor der simplen Abzähloperation geschieht. Das, was mich zur Blume greifen lässt.
Es ist erschütternd, in welcher Timeline wir gelandet sind. Das ist die, in der jene, die erzählen, generative Künstliche Intelligenz sei den Menschen bald ebenbürtig oder überlegen, nicht aus jedem seriösen Raum gelacht werden. Also mal ganz ehrlich, seid ihr ein bisschen doof? - Ich stelle nur Fragen.
Die Weltherrschaft der Techbarone und ihrer mit Lametta behängten Taschenrechner kann nur funktionieren, wenn wir uns selber vorher klein genug gemacht haben. Null und eins. Pro und Kontra. Denn dann sind die geölten Panzerplatten am Ende doch nur ein Sichtschutz, der die vor Langeweile gähnende Leere dahinter verbirgt.
Weiterlesen im Blog.
Mit einiger Sorge gelesen: Die Attacken auf die Wikipedia durch die US-Administration und angeschlossene Knallchargen werden heftiger und verlassen die reine Propaganda-Rhetorik. Dass das Justizministerium nun juristisch einen Fall “ausländischer Agententätigkeit” zu konstruieren versucht, ist sicher eine ganz schlechte Nachricht für alle möglichen Medien und NGOs, die in den USA tätig sind. Sollte das nach dem Putin-Playbook laufen, wird es ganz schön eng werden für jegliches zivilgesellschaftliche Engagement.
Wenn wir dann noch im Kopf behalten, wie gerne zumindest Teile der künftigen Bundesregierung die Entwicklung in den USA nachspielen möchten, wird es noch ein bisschen grusliger.
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