28 // zähne zeigen
Vor kurzem stand ich vor einem Werbeplakat für ein Streetfood-Festival. darauf abgebildet war eine Pizza essende Frau, genau in diesem typischen KI-Design. Immerhin, die Handhaltung war natürlich, die Zahl der Finger war auch korrekt, aber irgendwas stimmte nicht. Schließlich kam ich drauf: Die Pizza ging direkt in die Zunge der Frau über, wie zusammengewachsen.
Darüber hatte ich angefangen, eine Kolumne zu schreiben, dann aber wieder weggelegt. Führte nirgendwohin. Ein paar Tage drauf wiederum einen wenig überzeugenden Text zu KI-Bildsprache gelesen, einen der mich schon ganz schön genervt hat (wen’s interessiert, Jürgen Geuter hat seinem Ärger über den selben Quatsch ganz ordentlich rausgelassen).
Und da war ich wieder mitten drin im Thema. So ist es dann doch ein Kolumnentext geworden. Ob der nun wirklich ein Ziel gefunden hat, well…
Autokorrektor 15: Die und wir
Blond und kernig. Ob Wahlplakate, Werbungen oder Illustrationen für Social-Media-Propaganda – die Optik der maschinell erstellten Bilder, die erst das Netz ruinierten und inzwischen auch die Straßen fluten, ist öde und eintönig.
Die Frühgeborenen erinnern sich bestimmt noch an die rustikal-warme Farbpalette, in der das alles ausgeleuchtet ist: Wie der Junge von der Kinderschokolade strahlen uns seit Jahrzehnten perfekt weiße Zähne aus perfekt weißen Gesichtern an. Neu ist nur die Reproduktionsgeschwindigkeit und die überwältigende Masse des übelriechenden Einheitsbreis, der da schon lange köchelt.
Rachsüchtig auftrumpfend kehrt so das Heile-Welt-Marketing der geistig-moralischen Wende als das zurück, was es schon immer war: eine Drohung voll unerbittlicher Rohheit. Die Wiederkehr gibt sich ganz objektiv als statistisches Modell. Hannelore Kohl wird auf ewig zu Füßen ihres Gatten gnadenlos ein Rehkitz füttern müssen – und alle tun’s ihr gleich.
Im direkten Schatten dieser verlogenen Bilder wird selbstverständlich genauso gelitten und jämmerlich gestorben wie auch weiter außerhalb des Sichtfeldes. Dort aber mit größerer Brutalität; irgendwo im Mittelmeer, einer Hanauer Bar oder einer Dessauer Polizeizelle. Glück ist ein Platz diesseits des Jägerzauns.
Wir gewöhnen uns an den stillen Schrecken dieser KI-Karikatur einer guten alten Zeit. Das verwesungssüße Nichts der makellosen Oberflächen liegt wie ein Schleier um einen namenlosen Horror. Da wo eventuell einmal der Zweifel wohnte, lauert hinter der bequemen Gewohnheit eilfertige Ignoranz. Nur nicht hinschauen, nur nicht auffallen. Wann warst du das letzte Mal beim Friseur, Junge, wieso ist dein Rock so kurz, Mädchen? Gleichschritt, Anpassung.
Der Verdacht ist Beweis genug, und wer verdächtig ist, bestimmt am Ende die „künstliche Intelligenz“. Objektiv und doch so hervorragend mit unseren Vorurteilen trainiert ist die, dass sie erfolgreich Kriminelle erfindet, statt sie zu ertappen. Stacheldraht ist fotogener als Sozialarbeit.
Angst vor denen auf der anderen Seite des Gitters. Angst, selber plötzlich dort zu stehen. Die Angst fermentiert zu Hass, gefüttert mit den immer gleichen falschen Bildern. Nicht Menschen, Profile sind das, gesammelt von Werbebrokern und Geheimdiensten gleichermaßen, zusammengesetzt aus hunderttausenden Kategorien. Uns reichen für den Moment zwei. Die und wir. Wer weiß schon, welches Blond morgen normal ist.
Mit den Rufen nach Vorratsdatenspeicherung und Abschiebeoffensiven, Bett und Seife, zentraler Speicherung psychisch Erkrankter und Arbeitszwang wird die Einschüchterung trainiert – das angebliche Bollwerk gegen die Barbarei richtet die Waffen schon längst auf sich selbst.
Schlüsselfertige Übergabe an die kommende Kernigkeit. Keine Zeit für Sentimentalitäten, perfekte Reißzähne im von Angst verzerrten Gesicht. Bambi trägt ein Eisernes Kreuz am Band.
Weiterlesen im Blog.
Mit großem Interesse gelesen: Ein Nachruf auf Hildegard Brenner im nd. Moritz Neuffer erinnert an die wichtige Arbeit der Literaturwissenschaftlerin und Publizistin in der analytischen Aufarbeitung nationalsozialistischer Kulturpolitik und ihre aktive Teilnahme an den Debatten der westdeutschen Intelligenzija (sagt man das so?), vor allem in den 1960ern und 70ern.
“Dass der Name Hildegard Brenner trotz ihrer Verdienste um die literarische und theoretische Debattenkultur in der Intellektuellengeschichtsschreibung der BRD nur selten fällt, überrascht kaum angesichts der Tatsache, dass in deren Kanon vor allem »große« Männer mit »großen« Büchern eingehen.” Tja.
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