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Drehen tut sich die Welt bekanntermaßen von allein, an ihrer Möblierung jedoch sind Individuen nicht gänzlich unbeteiligt - und fällen durchaus unterschiedliche ästhetische und sonstige Entscheidungen. Nachfolgend annotiert der ölfte Versuch einer taz-Kolumne.
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Autokorrektor 11 - … who sold the world
Man kann Scheiße die buntesten Namen geben, es wird doch keine Zuckerwatte draus. Als ich das erste Mal von Tracking-Cookies hörte, da nannte man die noch Agenten. Ich hatte meinen Freund Robert gefragt, was er denn so machte zum Abschluss seines Informatikstudiums. Sehr stolz erzählte er von diesem völlig neuen Konzept der Agenten.
Ganz kleine Anker sollten das sein, die Nutzerverhalten online beobachtbar und analysierbar machen würden. Die wären überall dabei, könnten jeden Klick registrieren und speichern.1 So ließen sich zum Beispiel Empfehlungen für bestimmte Inhalte im Internet geben, meinte Robert mit leuchtenden Augen.
Unsere Freundschaft litt erheblich unter dem Gespräch, das dann folgen sollte. Das Netz war Ende der 1990er noch ziemlich anarchisch unsortiert und ich mochte das. Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wofür die Agenten benutzt werden könnten und dass da genug Potenzial zur Zerstörung des freien Netzes drin steckte.
In jugendlicher Rigorosität war ich der festen Überzeugung, dass man sich unter gar keinen Umständen auf die Seite der kapitalistischen Überwachung schlagen dürfte und teilte das auch mit; wahrscheinlich ohne auf eine sonderlich zivile Wortwahl zu achten.

„Aber du siehst einfach immer nur das Negative.“ Das stimmt wohl, aber ich verstehe bis heute nicht, warum das als Nachteil geführt wird. Es soll ja sogar Leute geben, die glauben, dass Kassandra ein Schimpfwort ist.2 Sie übersehen dabei, dass die Tochter des Priamos halt immer recht hatte mit ihren unschönen Visionen.
Ich sag’s mal so: Troja könnte noch immer eine florierende Stadt sein. Und das Internet ein bunter Haufen Hippies. Grimmige Hippies, mit eher negativen Einstellungen zu allem Möglichen, ok, aber immerhin wäre Amazon nur das englische Wort für einen Wald in Brasilien, Elon müsste sein Dasein mit den kümmerlichen Alimenten aus der väterlichen Diamantenmine fristen und Google wäre eine Suchmaschine.
Robert und ich jedenfalls sahen uns mit der Zeit seltener, beide mit kaum kompatiblen Missionen in der Weltgeschichte unterwegs. Wenn wir uns trafen, erzählte er von Meetings mit Konzernbossen. Wie er dort fünf Minuten hatte, um ein Projekt zu pitchen. Fünf Minuten, in denen über Hunderttausende Mark entschieden wurde.
Ich erinnere mich nicht mehr, wer von uns beiden zuerst nicht mehr ans Telefon ging. Robert, hochintelligent und eloquent wie er schon immer war, verkaufte sich, seine Agenten und schließlich sein Start-up zu einem guten Preis.3
Beim Besuch jeder beliebigen Website ploppt ja regelmäßig die Frage auf nach der Zustimmung zur Verarbeitung meiner Daten durch 173 oder so Partner. Da muss ich häufig an meinen alten Freund Robert denken und mir kommen Tränen in die Augen.
Den Cookie, der meine Präferenzen dann speichert, nenne ich Zuckerwatte. Klingt doch netter als fckrbrt1485consentx.
1 - Ist ja ein paar Jahre her, aber ich glaube, das Konzept war weniger so wie mit den Cookies heute, die Client-seitig vorgehalten werden. Die Agenten, von denen damals die Rede war, sollten eventuell mehr wie heute die Werbe-IDs funktionieren, also ein zentral gespeichertes Profil. Aber wie gesagt, ist lange her.
2 - Kein Scherz, das ist mir mal sehr empört entgegengeschleudert worden, mit so einer Ha-jetzt-hab-ichs-ihm-aber-gezeigt-Pose: “Sie Kassandra, sie!”
3 - Ja klar, das Netz sähe auch nicht besser aus heut, wenn R. sich damals anders entschieden hätte (was er definitiv auch gekonnt hätte). Aber vielleicht wären wir noch befreundet.
Noch ein Nachtrag zur ePA: Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber erläutert im taz-Interview nochmal ausführlich, was das Problem mit der elektronischen Patientenakte ist.
Falls sich noch jemand fragt, wozu die ePA so genutzt werden kann, sollte mal die Berichterstattung nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg verfolgen. Wenn Ermittler leichteren Zugriff auf Gesundheitsdaten fordern (nachdem ihnen einen vielfach aufällig gewordener, checks notes, Arzt durchs Raster gefallen ist), weiß man ja, was die Stunde schlägt.
Und bei heise kann man gleich nachlesen, dass die ePA wegen eines Versäumnisses der Ampel-Koalition anscheinend nicht unter die ärztliche Schweigepflicht fällt. Na Halleluja.
KI-Radar: Interessante Neuigkeiten aus der blödesten Zukunft, die wir je hätten haben können.
Wieso KI-Forschung und Politik nachlegen müssen: Im Blog Postwachstum schreibt Frieder Schmelzle eine ausgewogene Rundschau und Kritik an aktuellen Entwicklungen in Sachen KI. Lohnt sich durchaus, wenn man nicht immer nur das verkürzte Makassandra von Leuten wie mir lesen möchte.
CEO of AI Music Company Says People Don’t Like Making Music: Hier behauptet einer der Geld verdienen will mit einer Maschinensimulation von Kreativität, dass es höchste Zeit für einen Komponierroboter sei. Die meisten die bislang damit ihren Tag verbringen, hätten darauf doch keine Lust. Klar, von Mozart bis Swift - sie alle hätten so ein schönes Leben führen können ohne diese blöde Musik immerzu.
Wer auch immer die Spülmaschine erfunden hat, ist gerade noch einmal deutlich in meiner Hochachtung gestiegen.
Schreibt Taylor Swift ihre Lieder überhaupt selber? Ich bin so dermaßen out of touch.
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