18 // maschinensprache
Neues Jahr, Gold im Haar. Oder so. Und auch gleich wieder eine taz-Kolumne, der zehnte Versuch bereits. Bitteschön.
Autokorrektor 10 - Observational Comedy
Die Aussicht war ein Traum, in den Zimmern hatte es Platz und überall gab es Netz. Das Blöde an dem Ferienhaus aber war, dass es mit dem Frühstück schwierig werden konnte, wenn wir vergessen hatten, das Telefon über Nacht zu laden.
Wer denkt sich auch so was aus: Toastersteuerung per App. Genauso wie die Toreinfahrt, die Beleuchtung, die Heizung, die Fensterläden. Alles smart. Zum Glück war die Dusche noch normal, unbenutzbar. Einen Mikrometer nach links: kochend heiß. Einer nach rechts: Blizzard.
Der Kühlschrank fragte die ganze Zeit, ob er noch Lebensmittel bestellen solle. Glaube ich zumindest. Zum Umschalten der Sprachsteuerung fehlte mir offenbar die Qualifikation und mein Spanisch ist leider ebenfalls muy malo. Dafür hat das Ding immer, wenn ich „Halts Maul!“ sagte, auch nur mit „Por favor, repita su instrucción!“ geantwortet. Schon nervig, aber wenigstens mit einer sehr angenehm sonoren Stimme. Man kann sich daran gewöhnen.
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Die anderen im Haus waren der Muttersprache des Küchengerätes angeblich mächtiger als ich. Dellen und Fußabdrücke aber, die sich ab dem dritten Tag auf der mattweißen Haut der Kühlkombi materialisierten, erzählten die traurige Geschichte einer insgesamt schwierigen Verständigung.
Am vierten Tag hatte jemand einen beinahe lebensgroßen Starschnitt von Schwarzeneggers Terminator auf das Ding geklebt. Den Aufstand der Maschinen hatte ich mir allerdings anders vorgestellt.
9 Uhr, Fenster auf, Bluetoothbox an, Meeresrauschen aus der Konserve. Alles automatisch. „Buenas dias“. „Halt’s Maul!“, „Gracias por la instrucción!“ Bitte was?
Völlig unvermittelt bekamen wir mehrere Paletten Hühnereier geliefert. Die Botin ließ sich auf keine Diskussionen ein. „Gibt dir das Leben Eier, machst du Omelette“, sagte Arvid gut gelaunt. „Äh, wo schaltet man den Herd an?“ Hilflos tippte und wischte er sich durch die App. Würdevollen Schrittes trat Claudia an den Gasherd und betätigte mit lockerer Dreh- und Druckbewegung den knackenden Selbstzünder. „Keine Ursache. Und danke fürs Kochen.“ Niemand kann so überzeugend gewaltfrei kommunizieren wie Claudia. Ich vertiefte mich lieber in meine Spanisch-Lernkarten. Ich war ja nicht zum Spaß hier.
„Was schreibst du da?“, fragt Arvid und schaut mir ungeniert über die Schulter. „Ah, Toaster, Duschtemperatur … klassisches Comedy-Material. Wenn du jetzt noch herausfindest, dass Frauen ewig brauchen, ehe sie fertig sind zum Ausgehen, und Männer sie niemals verstehen werden, bringst du es vielleicht nochmal zu was und wirst richtig reich …“
Ich klemme beinahe seine Finger ein, als ich die Tür zuwerfe. Von der anderen Seite höhnt es lautstark: „Das Olympiastadion wartet auf dich!“
Ich greife nach dem Telefon. „Terminar Arvid! Él es un miembro de la resistencia“, tippe ich in die App und höre umittelbar darauf aus der Küche die vertraute sonore Stimme: „Hasta la vista, Baby.“ Es geht voran.
Mit großem Interesse gelesen: Ein ausführlicher Newsletter-Text von Celeste Davis (“Matriarchal Blessing”) der sich mit der Frage beschäftigt, warum immer weniger junge Männer höhere Bildung anstreben. In US-Colleges ist das Geschlechterverhältnis bei Studienanfänger*innen inzwischen wohl 3:2, Frauen zu Männern. Davis referiert einige der Erklärungsansätze und kommt zu dem Schluss, dass die Ursache für die Bildungsflucht in Männlichkeitsbildern gesucht werden kann.
Anscheinend gibt es einen Kipppunkt, wo ab einer bestimmten Anzahl an Frauen in einem Ausbildungsgang der Anteil Männer rapide sinkt. Der Beruf wird als zu “weiblich” wahrgenommen. Und dieser Effekt hat sich laut Davis und anderen inzwischen auf die gesamte Collegbildung ausgedehnt. Das klingt leider sehr plausibel.
Nachtrag zum letzten Newsletter in Sachen ePA: Inzwischen gibt es ein bisschen Medienecho zu den eklatanten Sicherheitslücken und auch die Gematik als verantwortliche Struktur hat Stellung genommen. Der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. fasst das ganz gut zusammen: “Es ist verboten kriminell zu sein. Also ist die ePA ziemlich sicher”.
Ich habe den Eindruck, dass das jetzt durchgedrückt wird, bestimmt auch, weil Lauterbach als prominenter SPDler mit dem vermeintlichen Erfolg Wahlkampf machen will. Und man geht davon aus, dass es kein dramatisches Leak innerhalb der ersten zwei Wochen geben wird. Das sollte sogar klappen, aber es wäre natürlich schön, wenn die Sache etwas nachhaltiger abgesichert würde. Nunja.
KI-Radar: Mir ist quantitativ nicht gar soviel untergekommen in den letzten zwei Wochen, aber das was da kam ist absoluter Premium-Content.
Open-AI failed to deliver the opt-out tool it promised by 2025: Der ChatGPT-Entwickler hatte ein Werkzeug angekündigt, mit dem Urheber, ihre Werke der Verwertung durch die Crawler des sprechenden Taschenrechners entziehen könnten. Wenig überraschend kommt das nicht nur verspätet, nein, es wurde anscheinend gar nicht daran gearbeitet.
Meta’s big bet on bots: Ein Stück darüber, wie die Facebook- und Insta-Mutter die Pest der Fakeprofile zum Kern des Geschäftsmodells machen will. Lauter KI-generierte Accounts können sich dann gegenseitig Quatschnachrichten schicken. Naja, solange die Werbekunden zahlen, damit irgendwelche Schaltkreise ohne eigenes Taschengeld ihre Produkte angepriesen bekommen…
Meta is killing off its own AI-powered Instagram and Facebook profiles: Ups, nur drei Tage später macht die Nachricht die Runde, dass die völlig bizarren Fakeprofile, die noch Online waren (der größte Teil, der seit gut einem Jahr existierenden war schon weg) gelöscht wurden. “Proud Black queer momma” wird dann wohl nochmal überarbeitet…
Redaktion von Wissenschaftsmagazin kündigt: Elsevier, der wahrscheinlich größte Wissenschaftsverlag der Welt, Copyrighttroll und Gelddruckmaschine lässt KI die Beiträge in den eigenen Publikationen “überarbeiten”. Auch solche, die bereits durch Peer-Review und Redaktion gegangen und freigegeben waren. Und das, ohne es der Redaktion mitzuteilen. Das “Journal of Human Evolution” hat jetzt keine Redaktion mehr, denn die hatte die Schnauze voll. Das scheint, nebenbei, öfter zu passieren.
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