16 // besinnlich, besinnlich
“Zwischen den Jahren” liegt vor uns, diese für viele liminale Zeit ohne feste Bestimmung, in der nur ganz eifrige schonmal die Steuerunterlagen fertig machen. Ich hoffe, Sie müssen die Woche Unzeit nicht mit ungewollten Familienpflichten oder gar Lohnarbeit auffüllen, sondern können was schönes unternehmen oder sich ein bisschen entspannt zurücklehnen. So wie selbst das Internet sich aller Erfahrung nach in diesen Tagen in einen kurzen Winterschlaf begibt. Sogar die Spamfabriken scheinen so eine Art Weihnachtsruhe zu kennnen, das ist zu begrüßen. Ich nutze die Gelegenheit, den neunten Versuch einer taz-Kolumne in ansonsten leere Mailboxen zu verteilen. Hohoho!
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Autokorrektor 9 - Im Auftrag Ihrer Majestät
Da es sonst niemand tut, frag ich halt selber: Was wünsch ich mir denn zu Weihnachten? Also, Weltfrieden, klar, und irgendwas mit Klima. Vor allem aber wünsch ich mir einen neuen James-Bond-Film. Seit Daniel Craig sich heroisch ins Flammeninferno gestellt hat, ist der Job ja frei. Und ich will endlich wieder einen ganz simplen, coolen James Bond haben. Schluss mit mit der jammervollen Empfindsamkeit und den nagenden Selbstzweifeln. Sensibel bin ich schließlich selber, da brauch ich keinen sexy Muskelprotz im Kino, der sogar noch die emotionale Verletzlichkeit geiler hinbekommt als ich. Wer war denn je in die melancholische Persönlichkeit von 007 verliebt? Eben.
Lange war mir der Bond-Crush ein bisschen unangenehm. Kritische Männlichkeit, Windkraft, Hafermilch und so weiter. Aber seit offensichtlich geworden ist, dass diese ganzen Techno-Fascho-Milliardäre sich Spectre und Blofeld zum Vorbild genommen haben, denke ich mir doch: Scheiß drauf, wenigstens identifiziere ich mich mit der richtigen Seite. Sie wissen schon, da wo den Witwen und Waisen Gerechtigkeit widerfährt und wo es in schnellen Autos Schleudersitze gibt. Am wichtigsten aber: Es ist die Seite, die größenwahnsinnige Milliardäre lächelnd in der Pfeife raucht. Oder meinetwegen in der E-Zigarette vaped.
Ich komme ja aus einer Generation, die Microsoft-Gründer Bill Gates für die Wiederkehr des Leibhaftigen hielt. Ok. das mit den Chip-Impfungen war als Vorwurf ein bisschen übertrieben, aber auch nur knapp. Ich mein, kennen sie Karl, die manische Büroklammer? Das war so eine Art Copilot, nur mit einem Tausendstel Promill des Strombedarfs zeitgenössischer KI-Anwendungen. Für die übrigens Microsoft jetzt Atomkraft nutzen will. Auf Gates Shopping-Liste steht ausgerechnet Three Mile Island. Für die Jüngeren unter uns: Three Mile war 1979 Schauplatz des bislang schwersten Atomunfalls der US-Geschichte. 1A Bond-Kulisse. Die britische Royal Society of Chemistry klagte mal, dass die Bond-Filme der Atomkraft einen schlechten Ruf gegeben hätten. Ja klar, die Filme waren das. Und Gudrun Pausewang, die uns mit ihrer Panikprosa in die Arme der Solarlobby getrieben hat. Und jetzt heulen wir wegen der Dunkelflaute rum. Es ist Weihnachten, verdammt, mach halt ne Kerze an.
Achja, immer schön beim Thema bleiben: Der Geist der vergangenen Weihnacht führt uns nach Tschernobyl, genauso der Geist der heutigen, mitten ins Kriegsgebiet halt; und der Geist der künftigen Weihnacht zeigt uns eine komplett verstrahlte Trümmerlandschaft. War das nun Putin oder doch Karl Klammer? Aber der Geist sagt nix. Und Bill Gates lächelt gelassen: "Hauptsache, alle geimpft! Elon, wann geht unser Flug zum Mars?"
Wo ist 007 wenn man ihn mal braucht?
Ach und am Anfang, das warn Scherz. Daniel Craig: bester lebender Bond-Darsteller, ich schwör! Am Ende von "Keine Zeit zu sterben" hab ich geweint - wie so ein richtiger Mann. Bloß weniger Bizeps.
Aktueller Text: Ein zusammenfassender Beitrag in der taz zur Klage von kenianischen Content-Moderator*innen gegen Facebook und den lokalen Dienstleister, der sie unter absolut unwürdigen Bedingungen ausbeutete.
Mit großem Interesse gelesen: Ich hatte an dieser Stelle schon mal kurz mein Unbehagen mit der sektenhaften Pose des Klimaaktivisten Tadzio Müller mitgeteilt, die bei einem Beitrag von ihm in der taz durchschien. In der WOZ hat er, der grad ein Buch zu promoten hat, dann nochmal nachgelegt, darüber aber erheblichen qualifizierten Widerspruch geerntet. Julian Genner und Ulla Schmid lesen dem neugeborenen Apokalyptiker und seiner Prepperrhetorik ganz ordentlich die Leviten. Mir hat dieser pointierte Beitrag geholfen, diese Haltung besser einzuordnen und mein unangenehmes Gefühl genauer zu bestimmen.
Ich denke, was mich stört ist gar nicht mal die nachvollziehbare Resignation, sondern mehr die Sprecherposition. Müller scheint ja schließlich schon seit Jahren sowas wie ein Leader der Bewegung sein zu wollen. Da wiegt es natürlich besonders schwer, wenn er sein persönliches Aufgeben so zelebriert, als sei das noch nach vorne gerichtet und irgendwie der politisch bewusste Stand der Dinge und andockungswürdig. Dass er dabei im Untergang das Heil verspricht, wie Genner und Schmid kritisieren, dass der “grosse Zusammenbruch […] den kleinen Mann aus seiner gefühlten Ohnmacht befreien und ihm die Macht verleihen [soll], sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen”, ist dabei tatsächlich eine gefährliche Wendung.
KI-Radar: Zufällig aufgeschnappte Nachrichten der letzten Tage aus der Traumwelt, in der ein paar Halbleiter uns von aller irdischen Qual erlösen sollen.
OpenAI Whistleblower Found Dead in San Francisco Apartment: Der ChatGPT-Entwickler klaut sich seine Traingsdaten zusammen, wie quasi alle KI-Firmen. Ein früherer, grade mal 25-jähriger Mitarbeiter, der die Praxis öffentlich gemacht hatte, ist tot aufgefunden worden.
Klarna CEO says the company stopped hiring a year ago because AI 'can already do all of the jobs': Selbsterklärend die Headline, nicht wahr, als wäre sie von einer KI geschrieben.
Open consultation - Copyright and Artificial Intelligence: Die britische Regierung möchte das Urheberrecht für KI-Firmen weitestgehend aussetzen, damit die in Ruhe weiter ihre Trainingsdaten klauen können und lädt dafür zu Stellungnahmen ein.
UK arts and media reject plan to let AI firms use copyrighted material: Die einschlägigen Branchenverbände finden die Idee der britischen Regierung nicht so gut, KI-Firmen die Trainingsdaten unbehelligt klauen zu lassen.
This is where the data to build AI comes from: Jaja, geklaut, wissen wir schon, aber diese Studie des MIT wird da etwas genauer und beleuchtet zum Beispiel die übergroße Dominanz westlicher und vor allem englischsprachiger Trainingsdaten und die daraus folgenden Nivellierung jeglicher kultureller Diversität im Umfeld der ganzen KI-Anwendungen. Auch wird deutlich, wie stark einzelne Player den Markt kontrollieren können. Bestes Beispiel ist Google, die via Youtube quasi den Stein der Weisen in Sachen KI-Training für Bewegtbild in der Hand haben. Und es ist nicht ganz klar, ob sie die anderen Kindern mitspielen lassen.
AI is guzzling gas: Weil Atomkraft nicht reicht (oder die Kraftwerke ohnehin viel zu lange brauchen, um hochgezogen zu werden) verursacht der Energiehunger der Rechenzentren anscheinend einen Boom in der Gas-Verstromung - und damit erwarungsgemäß einen steigenden CO2-Ausstoß. Klimawandel und Luftverschmutzung allgemein werden also fleißig gefördert von der Problemlösungstechnologie Nummer 1. Ach, wenn doch nur der blöde Heiland nicht wär, könnten wir längst erlöst sein…
In diesem Sinne, seien besinnliche Feiertage gewünscht.
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