13 // bloß kein Neid
Zwischenzeitlich hatte ich das für mich folgendermaßen sortiert: Als ich P. das erste Mal begegnete, damals in den 90ern, da sah er wirklich extrem gut aus. In späteren Jahren dann eher so, als ob es ihm sehr gut ginge. Aber während ich so auf der Straße saß, zwischen lauter jungen Antifas, die diesen wirklich gut erhaltenen Fuffziger mit vollem Haar anhimmelten, da hörte ich auf, mich anzulügen. P. hatte mir einfach einiges voraus. Und dann noch ein bisschen mehr.
Als Anwalt ist er seiner Sache treu geblieben und berichtete von der Bühne auf der Demo zum Sonnenblumenhaus von seinem Erleben dreißig Jahre zuvor. Relativ kleinteilig schilderte er die Scharmützel um den Versuch, die Nazis aufzuhalten.
Die Absicht, gleich am Anfang die Straße zu übernehmen. Das Pogrom zu beenden, bevor es überhaupt richtig losging. Das Hinundher zwischen den beteiligten Gruppen, die Inkonsequenz. Das Ergebnis ist bekannt. Irgendwann, ich fing tatsächlich beinahe an, mich zu langweilen, unterbrach P. selber seine detaillierten Schilderungen: "Aber warum erzähle ich das alles?"
Während ich grade noch dachte: "Ja genau, warum erzählst du das?", musste ich mir erläutern lassen, wie wenig, zumindest nach P.s Einschätzung, gefehlt hatte zu einer Situation, in der von Lichtenhagen ein ganz anderes Signal ausgegangen wäre. "Entschlossen und verantwortungsvoll". Das war sein Mantra, mit dem er die Möglichkeit und daraus folgend die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns beschrieb.
Da wurde mir bewusst, dass P. sich tatsächlich als Subjekt der Geschichte sieht. Nicht in narzisstischer Selbstüberhöhung, sondern als Grundvoraussetzung politischer Arbeit. Einfach die Gewissheit, dass sein Handeln (im Konzert mit anderen selbstverständlich), den Lauf der Dinge entscheidend ändern kann. Keine Spur Nihilismus.
Ich hatte bisher nicht die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob das intuitiv funktioniert oder ein bewusst gewählter Weg ist, mit der Resignation umzugehen, die ja auch er gelegentlich spüren muss. Eine Handhabe für die Angst, die eigene und die der Menschen, die er zu ermutigen sucht. Ich möchte glauben, dass man damit glücklicher sein kann. Und zielstrebiger.
Es hat noch eine ganze Weile - Jahre geradezu - gedauert, bis mir aufging, dass P.s Herangehensweise ihn ja zuallererst zum Subjekt seiner eigenen Geschichte macht. Das was er tut, nicht das was andere ihm antun, ist das was ihn definiert. Kein Opfer.
Ja selbstverständlich sieht der besser aus. Ist keine Frage der Frisur, ist eine der Haltung. Und da bin ich gleich gar nicht mehr neidisch. Denn das kann ich auch hinkriegen. Sofort Morgen. Bestimmt.
Mit großem Interesse gelesen: Ein Beitrag in der WOZ zur Frage, inwieweit die Vokabel “Faschismus” hilft, die aktuelle autoritäre Wende zu verstehen. (ich unterstelle mal, das Verstehen in diesem Zusammenhang auch bedeutet, Wege zu finden sich dem entgegenzustellen)
Ich muss da immer an eine Szene von vor acht Jahren oder so denken, als ich an einem Kneipentresen Trump einen Faschisten nannte. Es folgte eine Maßregelung für die unberufene Verwendung des F-Wortes im vorliegenden Fall. Und auch wenn ich denke, dass T. meine nachlässig ausgearbeitete Zuschreibung über die Jahre rückwirkend rechtfertigte, stimmt es natürlich, dass der inflationäre Gebrauch die Sache zu einem reinen Invektiv verkommen lässt und sie damit als Kategorie politischer Analyse unbrauchbar macht.
Der WOZ-Beitrag bleibt dabei ein bisschen hilflos stecken, irgendwo zwischen Checkliste und Empfehlung zur Wiedervorlage, aber das spiegelt ja vielleicht ganz gut den Stand der Debatte wieder. Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass on the fly entschieden wird und dabei auch Ungenauigkeiten in Kauf genommen werden müssen. Das Problem des Faschismus ist in der konkreten Begegnung halt kein akademisches.
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