12 // winterfest
Unerbittlich gibt die taz-Kolumne den Takt vor. Schon wieder sind zwei Wochen um. Deshalb wie immer an dieser Stelle der Text des neuesten Versuchs. Zunächst aber drei Lesehinweise.
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Das Faszinierende an politisch motivierter Repression ist, wie unbemerkt sie oft stattfindet. Ich glaube es ist in der allgemeinen Öffentlichkeit gänzlich unbekannt, erstens mit welcher Härte die Polizei schon immer gegen alles Linke (vermeintlich „linksextremistische“) vorgeht und zweitens, welche Ausmaße das auch im weiteren Umfeld der eigentlichen Zielpersonen annehmen kann. Der Verfolgungsdruck steigt ja ins geradezu Unermessliche, wenn kriminelle oder terroristische Vereinigung unterstellt wird. Umso verdienstvoller ist, dass die taz gelegentlich Raum gibt für eine etwas ausführlichere Berichterstattung.
Die Tage erst erschien ein recht breit angelegtes Stück über die völlig überzogenen Maßnahmen bezüglich des Budapest-Antifa-Komplexes. Obacht beim Lesen, schon der Einstieg ist recht grafisch. Bezüge werden auch zur Klimabewegung hergestellt, deren Aktive ja ebenfalls einer Kriminalisierung ausgesetzt sind, die in keinerlei Verhältnis steht zu den jeweiligen Aktionsformen.
Was besonders erschreckt, sind die angedeuteten Ermüdungs- und Resignationserscheinungen. Leipzig zum Beispiel: „Menschen, die sich vorher grüßten und guten Kontakt hatten, taten plötzlich so, als würden sie sich nicht kennen.“ Diese unter dem Druck sich verstärkende Vereinzelung ist ja das genaue Gegenteil dessen, was man sich als Reaktion wünschen würde. Aber so ist das leider, wenn schon die lose Bekanntschaft zu bestimmten Personen genügt, um dergestalt ins Visier zu geraten, dass man sich mal 4.30 Uhr morgens einer rabiaten Hausdurchsuchung gegenübersieht.
Da wird Distanzierung jetzt nicht die völlig unverständlichste Vorbeugemaßnahme sein. Solidarität hat ihren Preis – und man sollte vorsichtig mit dem Urteil darüber sein, welche Gründe den gegebenenfalls zu hoch erscheinen lassen. Die Perspektive wird ja auch nicht unbedingt besser.
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Ein sehr interessantes Gespräch mit Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin, hat das Weizenbaum-Institut veröffentlicht. Ganz ohne Umschweife ordnet sie den ganzen Desinformations-Kladderadatsch als das ein was es ist: Politisches Handeln zur Mobilisierung und nicht primär ein Werkzeug zur Manipulation: „Die offen zur Schau getragene Gleichgültigkeit gegenüber dem Wahrheitsgehalt von Informationen ist […} weniger Unkenntnis als eine politische Verortung. Und die Idee des Fact-Checking oder De-Bunkings übersieht diese Qualität.“
Dessen ungeachtet wird fleißig weiter gefactcheck und entlarvt. Manchmal wird vielleicht kurz innegehalten und sich gewundert, warum das so kunstvoll mit dem journalistischen Florett erlegte Lügenmonster immer wieder aufsteht. Aber irgendwie folgt nichts aus diesem Moment der Irritation. Man möchte eben weiterhin objektiv über den Dingen stehen.
Manchmal frage ich mich, ob mein früherer Berufsstand die Welt, die er zu beschreiben vorgibt, je verstanden hat. Wenn ich an all die Gesprächsrunden und Konferenzen denke, erinnere ich mich vor allem an durch keinerlei Empirie begründbare Selbstgewissheit, die mir oft als Ausdruck von Hilflosigkeit erschien. Gelegentlich war sie sogar nur eine seltsame Bockigkeit gegenüber der von den gelernten Regeln abweichenden Realität.
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Dankbar sein kann ich mal wieder Frédéric Valin für einen Hinweis. Und zwar im nd auf auf „Das Schweigen meines Vaters“ von Mauricio Rosencof, erschienen bei Assoziation A. Obwohl bei den einschlägigen Medien recht breit rezipiert, wär mir das evtl. durchgerutscht. Der Tupamaros-Veteran und Dichter Rosencof nähert sich in der fragmentarischen Erzählung vor dem Hintergrund seiner eigenen barbarischen langjährigen Haft der Geschichte seiner aus dem polnischen Shtetl stammenden Familie. Der Vater, und etwas später Mutter und Bruder, waren noch einige Jahre vorm deutschen Überfall auf Polen ausgewandert. Die meisten Verwandten wurden ermordet.
Was mir neben all den Dingen, die Valin zum Werk bemerkt, noch sehr stark aufgefallen ist: die zärtliche Humanität die das Buch durchzieht. Das mag ein wenig kitschig klingen, aber mir leuchtet da immer wieder in Bildern von Verbundenheit und Widerstand eine tief empfundene Menschlichkeit entgegen. Die wiegt umso stärker, weil sie gegen die schonungslosen Szenen aus der Vernichtungsmaschinerie steht. Keine Sorge, das Buch halluziniert keine falsche Hoffnung im Angesicht von Auschwitz. Das Leben kann nicht schön sein, wenn es an die Rampe von Birkenau gezwungen wird.
So lange aber jemand erzählt – so erzählt wie Rosencof – ist das Leben immerhin noch hier
Autokorrektor 7 - Eierlikör und Digitalzwang
Sie ist sich sicher: „Den bring ich schon auf Trab!“ Sie meint den Bürgermeister des Städtchens. In ihrem Alter muss der am Geburtstag mit Blumen zum Gratulieren vorbeikommen. Kaffee gibt’s und Kuchen. „Na, wie war das denn früher, Frau T.?“, fragt der Politiker mit jovialer Langeweile in der Stimme. Er hofft, dass der Assistent ihn vielleicht schon vor den verabredeten 17 Minuten mit Hinweis auf ein dringendes Telefonat befreit.
Frau T. hat nicht vor, mit dem Mann über früher zu plaudern. Sie bietet Eierlikör an. Der Bürgermeister seufzt das ergebene Seufzen des duldsamen Volksvertreters. Die Laune steigt. Es ist der dritte Geburtstag heute. Der Assistent wedelt nervös mit dem vibrierenden Smartphone.
„Ja, haben Sie denn noch etwas auf dem Herzen?“ Sie hat. Vor den Häusern der Wohnungsbaugenossenschaft – sie sagt immer noch AWG, das A steht für „Arbeiter“ – sind die Wege beschädigt. Das Laufen ist schon beschwerlich genug, aber nun muss sie auch noch den Blick ständig auf den Boden gerichtet halten, um nicht über die Unebenheiten zu stolpern. Das sollte man unbedingt mal richten, es leben viele Alte hier im Viertel.
„Ja, kein Problem!“, verspricht der Bürgermeister, bevor er das dritte Glas im Gehen hinunterstürzt, „Da machen wir eine Taskforce.“ Sie weiß nicht so genau was das ist, eine Taskforce. Aber später meint sie zu mir, das der Mann doch ganz entschlossen wirkte. Wie sie selber.
Ihre handschriftlich verfasste Steuererklärung gibt sie jedes Jahr gleich im Januar ab, persönlich beim Finanzamt. Trotz der eingeschränkten Mobilität weiß sie sich zu helfen. Sie versucht, so gut es eben geht, gegen den immer enger werdenden Bewegungsradius anzukämpfen. Ohne ihre Kontaktfreudigkeit wäre der noch eingeschränkter.
Sie genießt die Sonne, inzwischen öfter auf dem Balkon als unten in der Kleingartenanlage. Fährt mit dem Bus die Strecken, die sie noch vor zwei Jahren zügig gelaufen wäre. Ein Nachbar bringt manchmal was mit aus dem Supermarkt. „Kaufhalle“, berichtigt sie mich und ärgert sich, dass es Sonderangebote nur mit einer App gibt.
Ein Mobiltelefon hat sie draußen sicherheitshalber immer dabei. Um dessen Guthabenstand zu überprüfen, benötigt sie mich. Das geht nur am Computer, und sie hat keinen. Fahrkarten kann sie deshalb auch nicht mehr ohne Weiteres kaufen. Der Schalter am Bahnhof hat schon vor Jahren dichtgemacht, das Reisebüro an seiner Stelle verlangt einen saftigen Aufschlag. Aber genug davon, lieber noch einen Eierlikör. Ich glaube, sie kennt den Ausdruck „Flatrate“ nicht.
Ein paar Monate später höre ich am Telefon, dass die Taskforce die Wege zumindest provisorisch repariert hat. Obwohl ein CDU-Mann, ist er jetzt also voll in Ordnung, der Herr Bürgermeister. „Der ist sogar jünger als du. Und auch viel sportlicher.“ Eigentlich wollte ich meiner Großmutter anbieten, dass wir ihre nächste Steuererklärung mit meinem Elsteraccount machen und digital abgeben können. Aber die Bewegung tut ihr doch ganz gut. Da bleibt sie auf Trab.
Sehen wir uns? Schon wieder ein Filmfestival. Around the World in 14 Films in der berliner Kulturbrauerei und dem Delphi Lux. Und zwar läuft dort neben anderen Juwelen “Eine Erklärung für alles”. Ein ganz wundervoller ungarischer Film. Sensationell gutes Schauspiel und eine sehr spannende Geschichte erlauben einen Blick in das, was vielleicht auch unsere Zukunft ist.
Ein Junge fällt durch die Geschichtsprüfung und durch einen Zufall und die aktive Beteiligung der Fidesz-Presse wird ein Politikum daraus. Das ist sehr fein beobachtet und geschickt erzählt. Und obwohl der Film durchaus parteiisch zu sein scheint, macht er es sich und den Zuschauer*innen nicht sonderlich leicht mit dem Urteil, lässt Ambivalenzen zu, wo sonst nur ja oder nein gilt. Wenn Sie die Gelegenheit haben sollten: Gehn Sie hin!
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