11 // let's dance
Die nachhaltigste Angst ist die, die sich körperlich manifestiert. Die den Weg in die Sehnen und Knochen gefunden hat und dort alles in Spannung hält. Angst, die im Gedärm rumort, noch bevor du ihr einen Namen geben kannst. Oft sogar bevor du überhaupt merkst, dass sie schon wieder aus unbekannter Tiefe nach oben treibt, dir den Appetit verdirbt, den Schlaf raubt, die Luft abschnürt.
Das Gemeine an der latenten Gewalt der Straße, das was sich einschreibt in jede deiner Zellen, ist nicht unbedingt ihr konkreter Ausbruch, das Erlebte also, sondern ihr Potential, das Künftige. Jaja, ich bin schon wieder in den 90ern. Das kommt daher, dass die partout nicht aufhören wollen.
Ich schrecke weiterhin davor zurück, allzu konkret über Angst zu schreiben. Das hat weniger mit der Sorge vor Retraumatisierung oder so etwas zu tun, und auch nicht nur mit dem Unbehagen gegenüber der Opfererzählung. Da kommen noch zwei etwas anders gelagerte Abwägungen hinzu. Da wäre zunächst die Frage von Privatheit und Sicherheit. Wieviel kann ich preisgeben, ohne die eigene Verletzlichkeit anderen als Waffe in die Hand zu geben? Außerdem bin ich gehemmt, weil ich fürchte einer Ästhetisierung anheimzufallen, die der Sache unangemessen ist. Gemeint ist: Ich möchte mir meine blutige Nase nicht schönschreiben.
An Manja Präkels' Texten zum Beispiel schätze ich besonders, dass es ihr in allen die ich bisher gelesen habe gelingt, die Ästhetisierung zu vermeiden. Jedoch habe ich mich bislang auch nicht getraut, "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß" anzufassen. Ich kann überhaupt nicht sicher beantworten, welche Angst da schon wieder rumlungert. Die davor, dass es zu schön ist? Na, ich denke, in den kommenden ein-zwei Monaten muss da mal ein Knoten durchgeschlagen werden.
Mehr Vertrauen!
Es gibt vielleicht noch ein Drittes und das ist die Frage der Relevanz. Selbstverständlich weist die Erzählung jener Angst im Prinzip über das individuelle Erleben hinaus. Aber ist es jeweils gut genug gebaut, um nicht einfach nur Therapie vor Publikum zu sein? Autobiografisches und autofiktionales Erzählen sind ja derzeit fast der Goldstandard des öffentlichen Schreibens, da lassen sich genug misslungene Beispiele finden. Es sollte eben nicht darum gehen, eine voyeuristische Terrorlust zu bedienen. Aber worum geht es denn dann?
"Übernehmen Sie ruhig die Aufgabe einer Teilfunktion, die aber versorgen Sie genau …" Dieses Mantra verfolgt Fühmann in "22 Tage". Und letztlich ist das die Auflösung: Die eigene Geschichte zu erzählen ist die einzige Teilfunktion die sich wirklich genau erfüllen lässt. Das sagt noch nichts über die Form aus, aber zu malen fang ich halt nicht mehr an und meine Gedichte sind ein Rotz. Es bleibt die Prosa, als Ausweichmedium das Journalistische. Nur dauerhaft drücken kann ich mich nicht mehr.
Wenn die Angst doch so dringend zum Tanz bittet, ist die entscheidende Frage also nicht die danach, wo der nächste Ausgang zu finden ist, sondern: "Wer führt?"
Aktueller Text in der taz: Ein Kommentar anlässlich der Leipziger Autoritarismusstudie. Die Herausforderung war ein bisschen, nicht der Apokalyptik zu verfallen und nicht Misik abzuschreiben, der ein paar Tage vorher einen, wie ich finde, ganz guten Ton im Nachgang der US-Wahl getroffen hat.
Das ist ja auch das Problem: plausibel gegen völlige Resignation zu argumentieren. “Alles wird gut” oder selbst “Wir schaffen das” zu sagen, rückt einen doch kurz vor die völlige Verleugnung jeder Realität. Eine andere mir neue Sache ist eine Art sektenhafter Immunisierung gegen das feindselige Außen, die ich in einem weiteren Stück, nämlich von Tadzio Müller, ebenfalls in der taz in Ansätzen zu spüren glaube. Vielleicht ist das was er da präsentiert aber auch genau der richtige Zungenschlag, um Gemeinschaft wirksam zu erzählen, in gewisser Weise also wahr werden zu lassen. Ich bin da unsicher und lese erstmal einfach weiter.
Sehen wir uns? Portuguese Cinema Days in Berlin, Kino Moviemento. Laufen noch bis Ende des Monats. Es gibt Wein! Wenn wie in der vergangenen Woche der Projektor aus- und deshalb Wartezeit anfällt, sogar viel Wein.
Die Webseite des Festivals gewinnt trotzdem keinen Designpreis, aber stellt immerhin inzwischen das 2024er-Programm zur Verfügung. Thema ist die Nelkenrevolution und von Dokus bis Animationen gibt es alles mögliche, in der Mehrheit aus den letzten 3-4 Jahren, aber auch älteres Material.
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