10 // alles nur geklaut
taz-Woche schon wieder. Diesmal etwas konventioneller, die Deklaration einer Art Generalquelle für einen gar nicht so kleinen Teil meiner Arbeit. Wie üblich nachfolgend also die annotierte Version des sechsten Versuchs einer Kolumne.
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Autokorrektor 6 - Coryspondence
Hass ist ein großes Wort. Aber wie sonst soll ich die Empfindung nennen, die mich fast täglich überwältigt? Immer dann nämlich, wenn der Newsletter von Cory Doctorow in meinem Posteingang landet. Ich mein, täglich!! Das ist doch wider die Natur. Gewiss, der Mann ist einer der wichtigsten Propheten des freien Internet, Bestsellerautor, Aktivist, Speaker und Kritiker. Alles ganz toll, aber jeden Tag? Ich lese verdammt nochmal langsamer, als der schreibt.1
Dann ist da noch diese latente Plagiatsangst. Jeder Text, den ich je über digitale Ökonomie und die Politik der vernetzten Sphäre geschrieben habe, fühlt sich wie ein lauer Aufwasch von Doctorow an.2 Egal was, er hat’s schon gesagt. Früher, klüger und besser: „Nie wieder werde ich Energien in den Aufbau eines Publikums stecken auf einer Plattform, deren Management meine Verbindung zu diesem Publikum nach Belieben kappen kann.“ Viel mehr muss man nicht sagen zu Bluesky und Threads und anderen zentralisierten kommerziellen Versuchen, den Kurznazidienst Twitter/X in nett nachzubauen.
Aber es muss anscheinend doch immer wieder ausgesprochen werden: All die Benefits und Connections in der initialen Wachstumsphase der Plattformen sind dazu da, die Nutzer*innen und die Werbetreibenden erst anzulocken und dann auf der Plattform in Geiselhaft zu nehmen. Dass so viele so irritierend lange auf Musks fescher Faschistenfete verbleiben, hat genau den Grund, dass die dort aufgebauten Netzwerke so wertvoll für uns sind. Nur unter großen Schmerzen können wir darauf verzichten.
Ich habe mit meinem Abschied dort den Anschluss an wirklich viele spannende, sonst nicht oder kaum publizierte Stimmen verloren. So einen Kahlschlag will ich nicht noch einmal erleben und werde deshalb nie wieder Energien in den Aufbau und so weiter. Neid? Wahrscheinlich ist Neid das bessere Wort. Streichen Sie den Hass. Den halten wir in Reserve gegen diese Trampel, die für ein bisschen Profit oder Diskurskontrolle jedes zart keimende Pflänzchen der Solidarität und des zivilen Austauschs knallhart zerfetzen.
Ok, Twitter ist ein Extremfall, aber auch Facebook und Insta sind unbenutzbare Kloaken voller Werbung und KI-generiertem Müll. Dabei waren die mal ganz praktikable Werkzeuge der Vernetzung und Entdeckung. Oder erinnert sich noch jemand daran, dass man mit Google tatsächlich Informationen finden konnte? Oder bei Amazon günstige und gute Produkte?
Für diese fortschreitende Verschlechterung digitaler Dienste, nur um aus marktbeherrschender Stellung heraus ohne weitere Innovation und Investition noch mehr Profite generieren zu können, gibt es sogar einen, bislang leider nicht überzeugend ins Deutsche übersetzten Begriff: Enshittification. Cory Doctorow hat den erfunden – und viele andere schreiben drüber. Mithu Sanyals Kali sagt: „Stehle immer bei den Besten!“3 Mach ich und sage danke.
Ah, jetzt hab ich’s! Die Empfindung heißt Dankbarkeit. Jeden Tag.
1 Die Produktivität ist tatsächlich krass. Ich find grad nicht die Stelle, wo Doctorow erklärt, dass Schreiben ihm helfe, mit Angstzuständen umzugehen (ungefähr so: ein Corona-Lockdown equals drei Bücher). Der Output wächst. Tja.
2 oder ein Aufwasch von zB netzpolitik.org. Finde es lustig, wenn manchmal Journalist*innen ganz zwanghaft einen eigenen Dreh zu finden versuchen, also “nicht netzpolitik abschreiben” wollen. Ist dann halt oft an den Haaren herbeigezogener Blödsinn, was dabei rauskommt. Ist mir auch schon passiert.
3 Eine Sache, die ich ganz großartig an Identitti von Mithu Sanyal finde, ist die Quellenarbeit. Die Bezüge und Querverweise im Buch sind klar Teil des Lesespaßs und Gewinns. Und am Ende gibt es noch eine Literaturliste. Yay! Das gehört auch zum Schätzenswerten an Doctorow, dass er keine Gelegenheit scheut, auf die Arbeit anderer hinzuweisen. Teilweise (gefühlt etwa 20 Prozent) sind die Newsletter sogar reine Rezensionen von Romanen, Podcasts, Graphic Novels usw. Ich erfreue mich immer wieder an der Großzügigkeit mit der Doctorow seine Begeisterung teilt. Da wird nicht nur, aber auch Kinship postuliert.
Öffentliches Schreiben stellt diese Verbindungen, Traditionslinien und geschwisterliche Gemeinsamkeit idealerweise ja sowieso aus. Die Guten aus dem abgeschlossenen Sammelgebiet, Wolf, Fühmann, Endler zB. vergaßen nie, dass sie nicht alleine existieren. Sie zu lesen bedeutet immer, einen ganzen Bücherschrank aufzuschließen. Diese sterile, selbstgenügsame Großschriftstellerei, die bisweilen bei anderen anzutreffen ist, fühlt sich dagegen wie eine trostlose Sackgasse an, die nur in ein gigantisches, aber langweiliges Ego führt. 1.000 Seiten fürn Arsch. Ist wie Internet ohne Links, also ziemlich nutzlos.
Mit großem Interesse gesehen: Beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus von den Preisträgern nur das ukrainische SciFi-Stück “U R The Universe” gesehen und alleine dafür hätte sich die Anfahrt gelohnt. Der Film geht in die Eingeweide, erst ganz subtil und dann packt er richtig zu. Hat dazu einen schönen Humor. Ich hoffe mal auf einen deutschen Verleih, es würde sich lohnen.
Sehen wir uns? Portuguese Cinema Days in Berlin, Kino Moviemento. Laufen noch bis Ende des Monats. Die Webseite gewinnt keinen Designpreis, aber stellt immerhin inzwischen das 2024er-Programm zur Verfügung. Thema ist die Nelkenrevolution und von Dokus bis Animationen gibt es alles mögliche, in der Mehrheit aus den letzten 3-4 Jahren, aber auch älteres Material.
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