September-Ausgabe 2022
Herzlich Willkommen zur September-Ausgabe des Vreundschaftsbriefs!
CRUNCH
Diesen Monat hat Lena podcastfrei gemacht, wie im letzten Vreundschaftsbrief angekündigt; und Judith und Christian haben daher für den Genderswapped Podcast eine Sonderfolge zum im Oktober erscheinenden Roman Laylayland aufgenommen. Sie lesen zwei Szenen aus dem Roman und sprechen über die darin vorkommenden Themen und wie sie sie umgesetzt haben.
Laylayland lässt sich jetzt außerdem vorbestellen - zum Beispiel mit ein paar Goodies und signiert bei der Buchhandlung Graff. Unsere digitale Vorbestellaktion läuft natürlich auch wieder: Wer bis zum 30.9. einen Vorbestellbeleg egal welcher Art (Screenshot, Quittung, Foto der glücklichen Buchhändlerin) an vorbestellung@jcvogt.de schickt, erhält bei Erscheinen Zugang zu Figuren-Artwork von Risto, einer Kurzgeschichte und einem Hörbuchkapitel, eingelesen von Christian und Judith.
Im Audio-Extra geht es noch einmal um Werwölfe - Judith und Christian reden über ihre Erfahrungen mit Werwölfen im Rollenspiel.
Am 15.09.2022 erscheint die Anthologie Sonnenseiten der Münchner Schreiberlinge, und damit die - unseres Wissens nach - erste deutschsprachige Solarpunk-Anthologie. Lena ist darin mit einer Kurzgeschichte vertreten, die den Titel “Uferlos” trägt und wieder in derselben Welt spielt wie “Feuer” und “Wandel”.
Das Hörbuch zu Schildmaid ist ja schon im Juni erschienen, war aber drei Monate lang exklusiv auf Bookbeat verfügbar. Seit dem 2.9. ist es jetzt überall erhältlich, zum Beispiel im Audible-Abo oder auch einfach gratis auf Spotify!
Im Patreon gabs diesen Monat etwas, das euch hoffentlich zum Grinsen bringt und im Nordsee-Urlaub entstanden ist: den Seerobber als Charakter für Fate, Cortex, DSA und als Playbook für Blades in the Dark!
Wir weisen auch noch einmal auf das Science Fiction Jahr 2022 hin, das am 15. September erscheinen wird, diesmal mit dem Schwerpunkt “Bemannte Raumfahrt”. Sowohl Judith als auch Lena haben einen Artikel dazu beigesteuert. Judith hat sich das Thema Raumfahrt in Octavia Butlers “Parables” im Vergleich zu Mary Robinette Kowals “Lady Astronauts” angeschaut. Lena hat über Raumschiffcrews im Wandel der Zeiten geschrieben.
Termine
Am 21.09.2022 um 19 Uhr lesen Judith und Christian in Aachen aus “Schildmaid” im Café Knutschfleck, Jakobstr. 161. Organisiert wird die Lesung vom Feministischen Stammtisch und dem Queerreferat der Aachener Hochschulen.
Am 1.10.2022 lesen wir in der Übermorgenwelt in Ulm aus “Schildmaid” - die Uhrzeit steht noch nicht auf der Website, aber das folgt sicher noch im Laufe des Monats.
Am 3.10.2022 feiern Christian und Judith zehnjähriges Gemeinsam-Schreib-Jubiläum und lesen um 19 Uhr eine kurze Szene aus “Die zerbrochene Puppe”, dem ersten gemeinsamen Roman, auf Instagram.
Am 06.10.2022 um 20:00 Uhr nehmen wir unsere 50. Podcastfolge auf - wieder als Live-Event im Zoom! Diesmal steht das Gespräch - ebenso wie unser Podcast - unter Motto Wir ändern das Spiel. Wie hat sich euer Rollenspiel verändert? Habt ihr euer Lieblingssystem gehackt, stellt eigene Spiele ins Internet, engagiert ihr euch auf Conventions oder habt der heimischen Runde Safety Tools vorgestellt? Und was wünscht ihr euch noch für Änderungen? Darüber und mehr wollen wir mit euch sprechen. Wir hoffen, ihr seid dabei und mögt eure Erfahrungen - entweder direkt im Gespräch oder auch gerne schriftlich im Chat - mit uns teilen.
Am 9.10.2022 sind Christian und Judith ab 11 Uhr zu einer Signierstunde am Stand von Piper Fantasy auf der Magic Con im Maritim Hotel in Bonn.
Am 12.10.2022 um 19 Uhr wird der coronabedingt ausgefallene Rollenspiel-Workshop im Literaturhaus in Bochum nachgeholt. Die Infos gibts auf der Facebook-Seite.
FLUFF
Fehlerfreundlichkeit in RPG und RL
von Christian
Lasst uns über Fehlerfreundlichkeit reden. Scheitern kann spannend sein. Während in traditionellen Rollenspielen das Scheitern einer Probe oft nichts weiter als einen Rückschlag bedeutet oder ein Versagen und oft nicht zuletzt einen Stillstand der Geschichte, haben viele erzähllastige Systeme eine interessante Alternative etabliert: Das Konzept des Failing Forward (oder des Heiter-Scheiterns, wie Sarah Fartuun Heinze so schön sagt). Gerade dieses Konzept macht Erzählspiele besonders ansprechend für mich. Ein Scheitern wird hier als spannende Gelegenheit gesehen: eine Chance, Spannung oder Drama zu erzeugen oder einen Charakter wachsen zu lassen.
An Fehlern lernen ist auch ein sehr erfolgreiches Konzept in der agilen Softwareentwicklung: lieber frühzeitig Fehler finden und eingestehen als später; an ihnen lernen und wachsen, ohne die Schuldigen zu verurteilen – und damit dem Drang entgegenzuwirken, Fehler zu verschleiern.
Failing Forward kann auch eine Chance im Umgang miteinander in unseren Offline- und Online-Gemeinschaften sein. Diesmal nicht, um wie im Rollenspiel Drama zu erzeugen, denn davon gibt es auf Social Media reichlich, sondern um zu lernen, zu wachsen und persönlich oder als Community weiterzukommen.
Seit vielen Jahren wird daran gearbeitet, Mechanismen systemischer Unterdrückung besser zu durchblicken und diese auch mit den nötigen Begriffen benennen zu können - durch Social Media hat diese Arbeit eine breitere Basis und mehr Bekanntheit gefunden, viele Menschen sind mittlerweile sehr viel sensibilisierter als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig steigen aber besonders auf Social Media die Ansprüche und eine gewisse Kompromisslosigkeit ist dabei, sich zu etablieren. Dadurch laufen wir Gefahr, einige (bei weitem nicht nur privilegierte) Stimmen zu verlieren, die nicht mehr mitkommen.
Bei gewissen Themen wie dem Tabu des N-Worts ist Kompromisslosigkeit unvermeidbar, denn hier hatte wohl inzwischen jede*r reichlich Gelegenheit zu lernen. Wer das immer noch nicht eingesehen hat, will es wohl auch nicht. Für diese Trolle brauchen wir keine Fehlerfreundlichkeit. Bei anderen Themen kann das aber anders aussehen. Social Media bedeutet Daueraustausch, Erwartungshaltungen und sich ständig ändernden Sprachgebrauch. Und unter diesen Bedingungen kommt es unvermeidlich zu Fehlern.
Fehlervermeidung hat auch etwas damit zu tun, wie gut man sich auf neue Paradigmen einstellen kann. Einigen Menschen fällt es leicht, Begrifflichkeiten und Grundsätze zu lernen, andere tun sich schwerer. Die, die gut mit Sprache und deren Veränderung umgehen können, haben schnell einen Vorteil und damit eine gewisse Macht - was auch ein Privileg bedeutet. Und Machtgefälle kann schnell zu Diskriminierung führen, in diesem Fall nicht selten zu einer ableistischen.
Beispiel gefällig? Wenn ich einen Fehler gemacht habe, es einsehe und an Wiedergutmachung arbeiten will, sage ich vielleicht „ich entschuldige mich, das war nicht ok“. Die Formulierung kann aber als unehrlich ausgelegt werden, denn man kann sich nicht selbst entschuldigen, man kann nur um Verzeihung bitten. Das, in der Sache vielleicht korrekt, ignoriert aber völlig den üblichen Sprachgebrauch und die Intention der Entschuldigung und ist damit Gatekeeping in Reinform. (Natürlich gibt es auch echte Nopologies, aber die erkannt man an anderen Anzeichen.)
Ich wünsche mir daher mehr Fehlerfreundlichkeit und mehr Empathie mit Leuten, die offensichtlich gute Absichten verfolgen und ehrlich lernen wollen. Nicht jeder Wunsch nach gewaltfreier Kommunikation ist Tone Policing, nicht jeder Hinweis auf Verhältnismäßigkeit ist Whataboutism und nicht jede Frage über Inklusion kann man einfach googlen.
Was ich mit Fehlerfreundlichkeit ausdrücklich nicht meine, ist das Mundtotmachen von Kritik seitens Marginalisierter, besonders gegenüber -istischen Strukturen. Diese muss nicht freundlich vorgetragen werden. Es gibt noch jede Menge rechte Trolle da draußen, neoliberale Arschkrampen und auch Linke, die nicht bereit sind, dazuzulernen – das hier ist kein Plädoyer für einen Freibrief. Auch entbindet es uns nicht von der Pflicht, sich nach besten Vermögen selbst zu informieren, statt Betroffene alles erklären zu lassen. Aber eine freundliche Atmosphäre zu wahren und doch aus Verletzung entstandene Kritik zuzulassen ist nur ein scheinbarer Widerspruch – den wir lernen müssen, auszuhalten, indem wir von Fall zu Fall entscheiden.
Eine Gnadenlosigkeit gegenüber Fehlern richtet sich nicht nur gegen andere, sondern auch gegen das eigene Handeln. Ich finde, dass daher Fehlerfreundlichkeit auch in der Progressiven Phantastik ein wichtiger Punkt ist: Autor*innen müssen lernen, an Kritik zu wachsen, lernen, dass Fehler akzeptabel sind, um sie sich überhaupt eingestehen zu können – und um ungerechtfertigte von gerechtfertigter Kritik intersubjektiv unterscheiden zu können. Auf der anderen Seite können wir auch als Kritiker*innen ständig dazulernen, um Kritik inhalts- und sinnvoller zu formulieren.
Die Rollenspielautorin Avery Alder hat den dazu passenden Begriff Messy Learning geprägt: im Umgang mit Diversität nicht in Angst davor zu verharren, Fehler zu begehen, sondern die Chance zu nutzen, ständig dazuzulernen und es besser zu machen. Viel detaillierter und besser als ich hat sich auch Kai Cheng Thom in ihrem Buch I hope we choose love zum Thema Fehlerfreundlichkeit geäußert. Das ist auf jeden Fall einen Blick wert!
Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Fehlerfreundlichkeit wagen, ohne damit Tone Policing zu betreiben. Natürlich wird das Internet noch immer das Internet bleiben und Haters gonna hate, daran werden wir nichts ändern, aber wir können bei uns selbst und innerhalb unserer Bubbles damit anfangen (z.B. finde ich, dass der Vogt&Vriends Slack gute Voraussetzungen mitbringt und die Beteiligten sich bemühen, einander Platz zum Lernen einzuräumen - danke dafür!). Micky Scottbey Jones (danke für den Hinweis, Frank), hat den Begriff des Brave-Space geprägt und ich wünsche mir mehr Brave Spaces für unsere Bubbles:
Vavoriten
Christian empfiehlt:
Was sieben Teile hat, kann ja nicht schlecht sein, dachte ich mir, kaufte mir Ace Combat 7 –Skies Unknown und war bereit für ein Gaming-Trasherlebnis. Tatsächlich hat es mir unerwartet großen Spaß gemacht: Arcadige Flugaction mit Top Gun Maverick Vibes, eine erdähnliche Welt, aber mit irdischen Jets, und mit genug SF-Elementen wie einem Weltraumlift, dass es sich nicht zu militaristisch oder nach dem dritten Weltkrieg anfühlt.
Außerdem habe ich Stray gespielt. Eine Katze schleicht sich durch eine Cyberpunkwelt. Ein kurzes, aber schönes Spiel, bei dem man merkt, dass sich die Entwickler*innen jahrelang mit dem Verhalten von Katzen beschäftigt haben, um sich vorzubereiten. Einen ersten Eindruck kann man in Kadomis Stream gewinnen:
Twitch
Twitch is the world's leading video platform and community for gamers.
Twitch
Twitch is the world's leading video platform and community for gamers.
Lena empfiehlt:
Dank Twitter und unserem Vogt&Vriends-Slack bin ich auf die von Amazon Prime produzierte Serie A League of Their Own (deutscher Titel: Eine Klasse für sich) aufmerksam geworden, in der es um eine Frauen-Baseball-Liga in den 1940ern geht. Nachdem ich ja immer noch um die erst bewilligte und dann doch abgesetzte letzte Staffel GLOW trauere (fuck you, Netflix), musste ich natürlich gleich reinschauen. Und ja, die Serie hat durchaus Ähnlichkeiten zu GLOW, nur halt mit Baseball statt Wrestling und in den 40ern statt den 80ern. Und mit sehr viel mehr Queerness. Wir sind jetzt alle nicht verwundert, dass das total mein Ding ist, was? Sehr gut finde ich auch, dass neben den frauen- und queerfeindlichen Aspekten der Zeit auch der Rassismus und die besonders starke Diskriminierung Schwarzer Frauen thematisiert wird. Zugegebenermaßen empfehle ich die Serie jetzt, ohne schon die ganze Staffel gesehen zu haben, aber ich hoffe, die zweite Hälfte ist genauso gut wie die erste.
Außerdem habe ich die Graphic Novel Are you listening? von Tillie Walden gelesen. Darin begegnen sich zwei junge Frauen, die beide gerade einfach mal raus müssen aus ihrer Stadt und ihrem Leben. Teenager Bea läuft von zu Hause weg und Automechanikerin Lou nimmt sie in ihrem Auto mit. Eigentlich wollen sie nur zu Lous Tante, aber unterwegs treffen sie eine geheimnisvolle Katze und müssen feststellen, dass ihre Landkarten sie nicht zu den richtigen Orten führen - oder vielleicht die Orte einfach nicht immer da sind, wo sie laut Karte zu sein haben. Are you listening ist ein Rural Fantasy Roadtrip voller leiser Töne, wunderschöner Illustrationen und einer sich langsam entwickelnden Freundschaft zwischen zwei Menschen, die einander dringend brauchen. [CN: Trauer, Tod eines Elternteils, sexualisierte Gewalt]
Judith empfiehlt:
Da ich von den beiden Herausgebern Lars Schmeink und Ingo Cornils netterweise ein digitales Rezensionsexemplar erhalten habe, konnte ich New Perspectives on Contemporary German Science Fiction lesen - und damit kommt auch schon mein größter Kritikpunkt direkt am Anfang: Die Sammlung von thematischen Untersuchungen zur zeitgenössischen Science-Fiction in Deutschland - Teil einer internationalen Reihe - ist einfach zu teuer für Science-Fiction-Interessierte und richtet sich damit an ein akademisches Publikum. Das ist eigentlich schade, denn es ist eine facettenreiche Auseinandersetzung mit Science-Fiction-Themen, die die deutsche Medienlandschaft beschäftigen. Dabei geht es sowohl beispielsweise darum, wie das Thema Kernkraft-Dystopie in “Dark” behandelt wird, als auch um SF-Filme zum Thema Einwanderung, es geht um “E-Literatur” wie Karen Duve und Juli Zeh, aber auch um Genre-Autorin Theresa Hannig und Popkulturstar Marc-Uwe Kling. Mir hat vor allen Dingen die Conclusion “Dark Mirrors? German Science Fiction in the Twenty-First Century” gefallen - nicht nur, weil “Wasteland” darin erwähnt ist, sondern weil Ingo Cornils Dystopie und Postapokalypse in Kontrast stellt zu neuerer deutscher SF mit utopischen Elementen.
Aus aktuellem Anlass möchte ich außerdem Reservation Dogs empfehlen. Die US-amerikanische Dramedy-Serie von Taika Waititi und Sterlin Harjo gibts auf Disney+, und sie zeigt auf teils absurde, aber liebevolle Weise das Leben von vier Jugendlichen in einem Reservat in Oklahoma. Die vier haben im vergangenen Jahr einen Freund verloren und versuchen, mit dem Verlust umzugehen und die Frage zu beantworten, ob sie weiter im Reservat leben oder es verlassen wollen. Dabei schafft die Serie es, das ernste Thema von Tod und Sinnsuche mit vielen witzigen und skurrilen Momenten zu verbinden. Die vier Jugendlichen und alle anderen im Reservat sind natürlich von indigenen Menschen dargestellt. Just sayin’. For no obvious reasons at all.
Danke fürs Abonnieren und Lesen und bis zum nächsten Monat!
Christian, Lena und Judith