Oktober-Ausgabe 2023
erzlich Willkommen zur Oktober-Ausgabe des Vreundschaftsbriefs!
CRUNCH
Im Genderswapped Podcast haben Lena und Judith diesmal Besuch von Franca vom Rollenspielverein RPG Librarium Aachen e.V.. Wir reden mit ihr über den Verein und seine Arbeit, über Nachwuchsförderung und die neue Convention in Aachen.
Im Audio-Extra der Folge haben wir passend zur Bibliothek des Vereins darüber nachgesonnen, welche 3 Rollenspielwerke wir auf jeden Fall in eine Rollenspiel-Bibliothek aufnehmen würden.
Auf Patreon gibt es in diesem Monat zum ersten Mal ein paar Gedichte von Judith.
Wenn dieser Newsletter erscheint, müsste auch die neue Frühjahrsvorschau vom Piper-Verlag digital durchblätterbar sein. Wir können sie leider noch nicht verlinken - aber darin findet ihr die Ankündigung zum neuen Historische-Fantasy-Roman der Vögte “Ich, Hannibal”. Wir denken also zurzeit täglich ans römische Reich und stellen uns die Frage: Was wäre, wenn Hannibal die Alpen nicht mit Elefanten, sondern mit antiken mythischen Monstern überschritten hätte? “Ich, Hannibal” ist einerseits eine Geschichte über Menschen und Monster und andererseits widmen wir uns den Themen Macht, Krieg, Männlichkeit - und was umgekehrt ein solches Machtgefüge für Frauen und weiblich gelesene Menschen bedeutet. Das Cover dürfen wir euch ab heute zeigen - und im nächsten Newsletter gibt's dann die Vorschau inklusive Leseprobe!
Lena hat für Tor-Online einen neuen Artikel geschrieben, diesmal geht es um die Darstellung von psychischen Erkrankungen in der Phantastik. Unter dem Titel Raus aus dem Arkham Asylum geht es um problematische Klischees und Vorurteile und Beispiele, die es (zumindest teilweise) besser machen.
Und noch was neues zu Social Media: Wir werden uns alle demnächst von Twitter verabschieden, auch mit den Accounts vom Genderswapped Podcast und von Queer*Welten. Folgt uns also auch diesbezüglich gerne auf Mastodon und Bluesky:
Queer*Welten: Mastodon BlueSky
Genderswapped Podcast: Mastodon BlueSky
Termine:
20.10. - Buchmesse Frankfurt: Judith und Christian schaffen es in diesem Jahr nicht zum BuCon, sind aber am Messefreitag auf der Buchmesse und vermutlich häufiger mal am Piper-Stand.
5.11. - Talkien-Talk zum Thema queere SFF: Judith ist zu Gast beim Online-Format Talkien - Uhrzeit und Link stehen noch nicht fest, schaut dazu einfach beizeiten auf Social Media oder Website.
FLUFF (von Judith)
Safe Abortion Day
Am 28.9. war der Tag für sichere Abtreibung!
Wisst ihr, wie es lokal bei euch um die Zugänglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen steht? Letzte Woche hab ich für die Grüne feministische AG hier in Aachen ein Gespräch mit der lokalen Gruppe der Medical Studens for Choice organisiert, und die haben uns mal auf den neusten Stand gebracht. In Aachen gibt es noch zwei Praxen, die Abtreibungen durchführen – in einer davon ist der Arzt im Rentenalter, praktiziert aber weiter, weil er um die Versorgungslage fürchtet und keine*n Nachfolger*in hat, vor der anderen Praxis demonstrieren wöchentlich Abtreibungsgegner*innen auf der anderen Gehwegseite. Also alles andere als eine optimale Situation für Betroffene. Noch schlimmer siehts eigentlich in der Ausbildung aus: Im Studium an RWTH / Uniklinik werden Studierende entmutigt, es wird ihnen teils sogar gedroht („Denken Sie dran, dass Sie mich im Examen haben!“), wenn sie sich bei den Medical Students engagieren. Teil des Lehrplans ist der Abbruch nur im Bereich der Medizinethik und in der Pathologie, wenn es um Fehlbildungen geht (double standards, olé). Der konkrete Vorgang ist nur deshalb wieder Teil des medizinischen Lehrplans, weil ein Professor es den Medical Students in diesem Jahr ermöglicht hat, ihren Papaya-Workshop (die Methode der Vakuumaspiration wird an einer Papaya demonstriert) in seinem Kurs durchzuführen. Studierende haben Angst, keine Stelle in Krankenhäusern mit kirchlichem Träger zu bekommen, wenn sie mit den Medical Students for Choice in Verbindung gebracht werden. Und: Es engagieren sich vor allem Frauen, unter den 15 Aachener Medical Students ist ein Mann. Das Fazit der Studentin, mit der wir gesprochen hatten, war: Besonders die Lage in der Ausbildung kann sich erst ändern, wenn § 218 aus dem Strafgesetzbuch verschwindet und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch außerhalb davon geregelt wird, wie es die meisten westeuropäischen Länder längst vormachen.
Ich habe daher per Mail bei den Öcher Bundestagsabgeordneten Benner (Grüne) und Rhie (SPD) nachgefragt. Ye-One Rhie schrieb: "Zu § 218: Die Bundesregierung hat eine Expertinnenkommission eingesetzt, die bis März 2024 Vorschläge erarbeiten soll, wie man den Schwangerschaftsabbruch auch außerhalb des Strafgesetzbuches regeln könnte. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Ergebnisse der Kommission dann prüfen werden.“ Von Benner hab ich die Antwort, nur die Abschaffung von § 219a sei Teil des Koalitionsvertrags - damit mehr als das passiert, müssen wir also weiter Druck „von unten“ machen.
Zur Gehsteigbelästigung vor Praxen gibt es immerhin einen Referent*innenentwurf aus dem Familienministerium, der hoffentlich noch in diesem Jahr im Bundestag beschlossen wird, schrieb Rhie außerdem – und, ebenfalls ein Silberstreif am Horizont: Obwohl Bildung Ländersache ist, ist gerade im Gang, dass Abtreibung bundesweit in die Lehrpläne von Medizinstudierenden aufgenommen wird.
Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist für Frauen und Queers elementar. Rechtsradikale und Faschist*innen haben es nicht umsonst besonders auf die Abschaffung dieser Rechte abgesehen. Sich dazu nicht zu positionieren, weil man denkt, es ginge eine*n nichts an, bedeutet, Faschos mehr Raum einzuräumen. Deshalb: Engagiert euch am jährlichen Safe Abortion Day und anderen Tagen wie dem 8. März vor Ort – und wenn ihr das nicht könnt oder wollt, schreibt Politiker*innen, unterstützt NGOs, baut Druck auf, normalisiert Abtreibung als Teil körperlicher Selbstbestimmung. Die Kriminalisierung kombiniert mit einer befristeten Straffreiheit, die wir im Moment haben, ist nicht genug.
Lena: Danke, Judith, für den Text und für die Organisation der Veranstaltung - ich ergänze hier nur noch schnell die Folge von Justitias Töchter, dem Podcast des Deutschen Juristinnen-Bundes, die sich mit einer Neuregelung beschäftigt.
Vavoriten
Judith empfiehlt:
The best show that nobody watches is BACK: Das von Bruce Lee erdachte und von seiner Tochter Shannon Lee realisierte Warrior hat eine dritte Staffel auf HBO bekommen, nachdem es nach zwei Staffeln auf einem obskuren Pay-TV-Sender abgesetzt wurde. “Warrior” ist eine Kung-Fu-Western-Serie, die in den 1870er Jahren in San Francisco spielt. Chines*innen überqueren “the salt”, den Pazifik, auf der Suche nach einer neuen Existenz in Amerika, und landen in Lagern, Elendsvierteln und den Gang-Rivalitäten von China-Town. Sie werden von Eisenbahnbaronen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, was wiederum den Zorn der irischen Einwanderer*innen weckt, die mit ihnen in Konkurrenz stehen und wie immer nicht verstehen, dass nach unten treten nicht die Lösung ist. Getreten wird ohnehin viel, denn die Serie ist eine (CN: sehr brutale) Martial-Arts-Serie voller unfassbar toller Kampfszenen, die sich Zeit für ihre von Staffel zu Staffel facettenreicheren und komplizierteren Figuren nimmt. Die Serie mit ihrem überwiegend ostasiatisch-amerikanischen Cast stellt die Perspektive der Einwanderer*innen in den Fokus, thematisiert Rassismus und Rassifizierung (von der Ir*innen zunächst ebenfalls Opfer sein können, der sie aber durch ihr Weiß-Sein entkommen können), Rollenbilder und den Bruch mit ihnen, und reißt eine*n einfach mit. Staffel 3 besticht stärker als die ersten beiden Staffeln auch durch gut geschriebene queere Figuren und Storylines und schreibt den Konflikt von Protagonist Ah Sahm, der zwischen der Gang seiner Schwester und der seines besten Freundes steht, zu einem schrecklich-dreckig-fulminanten Höhepunkt. (Auf den eigentlich unbedingt noch eine vierte Staffel folgen sollte, bitte danke.)
“Warrior” lässt sich zum Beispiel auf Sky Wow schauen, wir haben es im englischen Original gesehen.
Ich habe das Sachbuch Die Wahrheit über Eva: Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern von Carel van Schaik und Kai Michel gelesen. Es versucht aus evolutionsbiologischer und soziologischer Perspektive, die Entstehung des Patriarchats zu erklären und tut das sehr interessant (und wortreich). Das Buch ist ziemlich cis-binär geschrieben, aber es regt an vielen Stellen zu “Was wäre wenn”-Gedanken an, hat unheimlich viele spannende historische Nischenfacts zu bieten und zeigt schließlich auf, welche Faktoren zusammenkommen mussten, damit im Dunstkreis babylonischer Alleinherrscher ein männerdominierter Monotheismus entstand, der Ausgangspunkt für globale Ausbeutung und geschlechterspezifische Gewalt war und ist. Ich finde, gerade für Schreibende, die in ihren Geschichten Alternativen entwerfen wollen, bietet das Buch eine ganze Menge Denkanstöße.
Christian empfiehlt:
Ich weiß gar nicht, ob ich es empfehlen muss, denn es spielt gerade ohnehin jede*r: Baldurs Gate 3. Die Geschichte ist episch, die Herausforderungen spannend (es gibt keine “Bringe mir 10 Wolfsfelle”-Quests - jede Nebenmission ist in sich interessant) und die Umsetzung der D&D-Regeln gelungen, aber der eigentliche Star sind die Gefährten des SC und deren Hintergrundgeschichten. Zudem verlangt das Spiel auch nicht das ununterbrochene Metzeln von Gegnerhorden, es gibt immer mehrere Wege zum Ziel, vom Kämpfen über Herumschleichen, Nachforschen oder Herausreden. Die Freiheiten beschränken sich dabei nicht nur auf Problemlösungsansätze, sondern auch auf die Entscheidungen, die die Spielenden treffen und die großen Einfluss auf den Verlauf und das Ende haben. Es gibt dabei auch selten richtige und falsche Entscheidungen. Alle enden in irgendwie interessanten Verläufen. Die Entwickler*innen haben auch an sehr abstruse mögliche Wege durch die Geschichte gedacht und laden geradezu ein, kreativ zu werden. Das ist etwas, das man sonst nur vom Tischrollenspiel kennt. Baldurs Gate 3 versteckt dabei im Gegensatz vieler anderer Videospiele auf der Basis von TPRPGs seine Wurzeln nicht, sondern spielt sie als Stärke aus: eine Erzählstimme übernimmt die Rolle einer SL und man sieht den W20 bei Proben über den Bildschirm rollen. Nur das Inventarsystem mit hunderten Gegenständen verteilt auf die einzelnen Gruppenmitglieder und das Lager sind etwas anstrengend. Da hätte man sich vielleicht besser an Blades in the Dark statt an D&D orientiert. Insgesamt eine große Empfehlung.
Lena empfiehlt:
Ich habe im letzten Urlaub Pageboy, die Autobiographie von Elliot Page, gelesen. (An dieser Stelle noch mal ganz lieben Dank an Frank, der mir das Buch geschenkt hat - sogar signiert!) Pageboy ist erfreulich überhaupt nicht dazu da, um irgendwem zu erklären, was trans Menschen jetzt nun eigentlich sind - sehr gut, dazu gibt es genügend Grundlagenliteratur für Interessierte. Stattdessen erzählt Elliot Page seine Geschichte, die mit einer Schauspielkarriere seit dem früher Teenie-Alter ja doch recht besonders ist. Es geht viel um Hollywood und die Barrieren, die queeren Menschen dort immer noch in den Weg gelegt werden, aber auch um Elliots Kindheit und Familie, um das langsame Begreifen und Erkämpfen der eigenen Identität. Dabei ist Elliot sich der eigenen Privilegien stets bewusst und baut auch auf anderen Texten und Ideen der Queer Theory auf - beispielsweise durch nicht nicht-lineare Erzählweise, die er im Vorwort ganz klar als queere Art des Erzählens herausstellt. Ich habe das Buch gern gelesen.
Zum Thema nicht-lineares Erzählen als queere Kultur schloss sich dann gleich eine weitere passende Lektüre an, nämlich Ocean Vuongs erster Roman On Earth We’re Briefly Gorgeous. Der Roman ist sehr viel, gleichzeitig autobiographisch und leicht verfremdet, Werk einer queeren und migrantischen Person, Familiensaga, tragische Liebesgeschichte und Zeugnis des prekären Lebens in einer US-Kleinstadt, in der sich die Opiat-Krise langsam entfaltet. Vereint werden diese Themen durch die wunderschöne, poetische Sprache. Vuong findet schöne Worte für Schreckliches und schreckliche Worte für Schönes. Definitiv ein Roman, den man mehrfach lesen möchte und aus dem ich mir diverse Zitate herausgeschrieben habe.
Und noch was aus der Serien-Abteilung: Nachdem ich die erste Staffel von The Bear schon hier angepriesen hatte, kann ich nun sagen, dass die zweite sogar noch besser ist. Die skurrile, traurige, lustige und VERDAMMT STRESSIGE Geschichte um Carmen, der mit seinem Team das Restaurant seines verstorbenen Bruders am Leben erhalten und neu gestalten will, ist weiterhin faszinierend, thematisiert auch auf gute Weise das Wegsterben von Restaurants durch Pandemie und Inflation, und hat die schrecklichste dysfunktionalste Weihnachten-mit-der-Familie-Folge aller Zeiten. Ich kann die Serie also auch weiterhin nur empfehlen.
Danke fürs Abonnieren und Lesen und bis zum nächsten Monat!
Judith, Christian und Lena