November-Ausgabe 2021
Hallo und herzlich willkommen zur November-Ausgabe des Vreundschaftsbriefs!
Erst mal: CRUNCH!
In der November-Folge des GENDERSWAPPED PODCAST haben wir Noah Stoffers zu Gast und sprechen über Schauplätze im Allgemeinen und Städte im Besonderen: Wie unterscheiden sich komplett erfundene Schauplätze von echten Städten? Wie geht man im Rollenspiel mit dem "Stadtabenteuer" um? Wie können Schauplätze schnell und plastisch beschrieben werden? Außerdem reden wir über Essen als Teil von Weltenbau und Noah erzählt uns im Medienthema von der Anthologie "Urban Fantasy - Going Queer", die sier mit herausgegeben hat. Im Audio-Extra auf Patreon erzählen wir drei von je drei Lieblingsschauplätzen!
GUERILLA JOURNALISTS kommt nach wie vor nicht so richtig ausm Knick (<-- Berlinerisch we learned for Anarchie Déco!). Der Probedruck von Drivethru hat fast 6 Wochen gedauert und war leider Murks. Wir hoffen, dass der nächste besser aussieht - so oder so wird ein Erscheinen der Printausgabe noch in diesem Jahr unwahrscheinlich - aber auf DrivethruRPG ist die digitale Version mittlerweile erhältlich!
Zu ANARCHIE DÉCO gabs eine witzige Meme-Aktion, über die die Vögte sich sehr gefreut haben - nachzuverfolgen unter dem Hashtag #AnarchieDécoMeme auf Twitter und Instagram! Vielen Dank an alle, die mitgemacht haben!
Außerdem ist das Buch für den LOVELYBOOKS-LESERPREIS nominiert, und wenn ihr mögt, könnt ihr nur noch heute dafür abstimmen. Danke dafür und danke an die Lesenden, die es nominiert haben!
Außerdem: Dieser Tweet von Natascha Strobl. Wir sind fast aus den Latschen gekippt.
Christian und Judith haben mit WASTELAND 2 (Arbeitstitel: Laylayland) angefangen! Finanziert durch ein Corona-Künstler*innen-Stipendium wird die Fortsetzung von Wasteland Ende 2022 im Plan 9 Verlag erscheinen! (Wir twittern und instagrammen dazu unter dem Hashtag #Laylayland!) “Wasteland” wird außerdem in der aktuellen Ausgabe der an.schläge im Artikel “Auf die Sterne hoffen wir” über Mini-Utopien thematisiert.
Schon im September erschienen, aber bisher in diesem Newsletter versehentlich noch nicht verlinkt: Lena hat für Tor-Online einen Text über Kunst im Internet geschrieben. Was bringt Künstler*innen dazu, ihre Inhalte kostenfrei im Netz zu veröffentlichen, welche Erzählungen werden damit möglich und wie beeinflusst das wiederum die traditionellen Märkte? (Ein noch ausführlicherer und auf Science-Fiction fokussierter Essay zum selben Thema ist übrigens Lenas diesjähriger Artikel im Science Fiction Jahr 2021.)
Termine
Fantastik-Woche im Brecht-Haus: Unter dem Titel Modelle von Herrschaft und Staat, Krieg, Unterdrückung und Arbeit diskutiert Judith am 25.11. um 20 Uhr in Berlin mit Klaudia Seibel, Arne Sönnichsen und Kathrin Tordasi im Literaturforum des Brecht-Hauses. Hier findet ihr das ganze Programm der Fantastik-Woche!
Die Veranstaltung findet vor Ort und als Livestream statt!
Phantastikabend in Warstein: Am 8.12. liest Judith in Warstein aus „Anarchie Déco“, im Doppelpack mit Matthias Teut. Die Location in Warstein steht noch nicht fest, ihr könnt euch aber hoffentlich bald auf www.jcvogt.de informieren!
FLUFF
Vom Aktivismus des Raum-Schaffens
Judith: Ich denke nun schon seit einigen Tagen auf einem Thread herum - Lena und ich schneiden das auch in der nächsten Podcastfolge an, denn wir fühlen diesen Thread sehr. Ich denke manchmal, wir (und damit meine ich nicht nur uns drei, sondern es ist eher so ein seufzend-kollektives “Wir”) sind als “Aktivist*innen” bekannter als für das, wozu wir eigentlich herkamen: Wir wollten, wie viele andere Leute auch, Geschichten erzählen.
Wir (erneut, seufzend-kollektiv) mussten aber feststellen, dass der Raum für uns nicht offensteht.
Wenn die Orga vom Kurd-Laßwitz-Preis dir sagt, dass Frauen “genetisch” (yes, I know…) nicht in der Lage sind, herausragende SF zu schreiben, so wie sie auch in allen anderen Bereichen des Lebens nur Mittelmaß sind ... Wenn das SF-Fandom nach dem Veröffentlichen einer rassistischen Karikatur sagt, es gäbe ja gar keine Schwarzen Autor*innen, die von der Karikatur verletzt worden seien, obwohl ein halbes Dutzend Schwarzer Autor*innen sehr klar gesagt hat, was sie davon halten ... Wenn der Skoutz-Award verkündet, es sei bedauerlich, wie viele queere Figuren es in der Literatur mittlerweile gebe und würde das die Menschheit “realistisch” widerspiegeln, dann sei sie vom Aussterben bedroht - und wenn dieser Skoutz-Award dann noch was von vergifteter Debattenkultur und den Twitter-Hyänen nachsetzt …
… dann ist es sehr deutlich, wem welche Räume in welchem Maße offenstehen. Aber wir sind nicht mehr darauf angewiesen, dass Alteingesessene, deren Hintern bereits einen Abdruck im Sofa hinterlassen hat, der nicht auf unsere Hintern passt, uns die Tür öffnen. Wir schaffen uns die Räume, die nicht existierten oder nicht für Leute wie uns existierten, selbst.
Das ist einerseits cool - denn es wird höchste Zeit, andererseits hatten wir uns die ganze Sache mit dem Geschichtenschreiben eigentlich anders vorgestellt (und mit weniger Hass und Anfeindungen, um ehrlich zu sein).
Und viele Leute schätzen uns zwar fürs Raumschaffen, aber definieren uns dann auch primär darüber, obwohl wir es einfach auch gut gefunden hätten, wenn wir diese Extrameile nicht hätten gehen müssen. Oder, zum Beispiel, wenn wir primär Autor*innen wären und nicht Aktivist*innen. Wie muss es sein, wenn der Platz einfach da ist und man sich da so reinsetzen und loslegen kann und dann vor allem für seine Kreativität gefeiert wird? (Absolutes Sideeye zu all den SF-Dudes und all den Rollenspiel-Bro-Clubs, falls das oben noch nicht genug rauskam.)
Aktivist*in als Bezeichnung finden wir nicht grundsätzlich schlecht, wenn wir was tun, was wir selbst als aktivistisch ansehen würden - wenn wir zum Beispiel Geld für bestimmte Dinge sammeln, Petitionen teilen, auf Demos gehen oder dazu aufrufen, Briefe oder Mails an Politiker*innen zu schreiben.
Aber in vielen anderen Kontexten haben wir einfach nur festgestellt, dass wir an den Rand gedrängt oder gleich ganz an der Teilhabe gehindert wurden und wollten uns damit nicht zufriedengeben. (Lest dazu doch auch noch die Gedanken von Sarah Fartuun Heinze!) Werden Rollenspiel-Bros, die zur “Zukunft des Rollenspiels” immer nur andere weiße cis Männer mittleren Alters befragen, auch “Aktivisten” genannt? “Hey, du setzt dich doch so für die Vorherrschaft weißer cis Männer im Hobby ein. Was hat dich zu dieser aktivistischen Arbeit bewegt?” - keine Frage, die einer von diesen Dudes jemals wird beantworten müssen.
Aktivismus für den Status Quo gibt es eben nicht - aktivistisch ist irgendwie nur, was etwas anderes fordert als das, was schon da ist, und deshalb müssen wir, im Gegensatz zu vielen “nicht-aktivistisch definierten” Künstler*innen auch damit leben, dass man unsere Geschichten immer mit unserem Aktivismus verstrickt. Denn Werk-Autor*in-Trennung scheint nur in die andere Richtung gefordert zu sein.
Aber unser Aktivismus ist auch Caring, und um auf eine versöhnliche Note zu enden: Im Podcast kommen wir zu dem Schluss, dass Lenas und meine Queer*Welten unsere unbezahlte Care-Arbeit an der Phantastikszene darstellen. Wir verrichten sie aus reiner Liebe und blankem Trotz. <3
Unsere VAVORITEN - Tipps zum Lesen, Schauen und Hören
Judith
Kein Vavorit, aber auf Twitter habe ich (Vorsicht: Spoiler) über mein Hatewatching der Apple-TV-Serie “Foundation” zum gleichnamigen jaja blabla Meisterwerk von Isaac Asimov geschrieben. (Übrigens war Asimov berüchtigt dafür, dass er Frauen begrapscht hat, ja, auch auf Treffen der Science-Fiction-Szene und wenn die Frauen sich darüber beschwerten, wurden sie der Treffen verwiesen. Auf einer WorldCon wurde Asimov scherzhaft von seinen Bros dazu aufgefordert, eine Rede über „The Positive Power of Posterior Pinching“, zu halten, also über die „positive Macht des Hintern-Kneifens“. Aber natürlich ist die neue Serie voller “starker Frauen”. Statt, dass mit ähnlichem Budget mal etwas von Frauen verfilmt würde. Nein, ich bin doch nicht bitter!)
Ich habe dieses Jahr so etwas wie eine “Self-Care-Routine”: Ich lese jeden Tag ein Kapitel des neuen “Schreibratgebers” von Charlie Jane Anders: “Never Say You Can't Survive - How to get through hard times by making up stories”. (Es ist schwierig, nach einem Kapitel aufzuhören, aber ich muss mich disziplinieren, es sind nur 225 Seiten!! :D ) Ich zähle außerdem mit, wie oft es mich schon zum Weinen gebracht hat (ich bin jetzt bei viermal und hab es zur Hälfte durch). Wer weint denn bei einem Schreibratgeber, fragt ihr jetzt vielleicht, aber wie der Untertitel des Buchs schon verrät, ist es kein gewöhnlicher Schreibratgeber: Viele Kapitel drehen sich tatsächlich um Fragen wie “Was macht eine Figur für uns interessant?” / “Wie schreibe ich ein gutes Ende?” und so weiter, aber viele Kapitel drehen sich ums Schreiben innerhalb und für eine Community, ums Gegen-die-Angst-Anschreiben, darum, wie Geschichten an den Stützpfeilern der erdrückenden großen Erzählung der Machtlosigkeit sägen können (oh, mein Pathos ran away with me!).
Ein Kapitel hat mich besonders “getroffen” - es ging um Wut als Storytelling-Goldmine. Charlie Jane erzählt darin, dass Wut eine “Primärfarbe” der Emotionen ist und (nicht nur zu Hass, Yoda!) trotzdem zu warmen und zarten Geschichten führen kann. Ich musste darüber nachdenken, wie unser nächsten Buch “Schildmaid” auf Wut und Trotz aufbaut, woraus sich jedoch eine Art Viking Age Buddy Movie mit 20 Frauen auf einem Schiff ergibt, die einfach versuchen, dem ganzen Scheiß zu entkommen (dabei aber herausfinden, dass sie einen Teil von “dem ganzen Scheiß” mit sich herumtragen und von anderen Teil des “ganzen Scheiß” verfolgt werden). Beim Schreiben war ich oft scheißewütend und habe oft geheult, aber es stecken trotzdem die zartesten und verletzlichsten Dinge darin, die ich vielleicht je geschrieben habe (dass es in drei Monaten schon da draußen in der Welt ist, macht mich manchmal komplett nervös und ängstlich!). Aber eigentlich geht es hier ja gar nicht um “Schildmaid”, sondern um “Never Say You Can’t Survive”, und deshalb zitierte ich einen Satz daraus: “We're often at our angriest when we have something to protect or to care for” - das Buch gibt den Mut, nicht vor Zorn zurückzuschrecken, denn er führt uns zu all den guten Dingen, die es wert sind, darüber zu schreiben und dafür zu kämpfen
Christian
“Wie gut kann eine animierte Serie zu einem Videospiel, das ich nicht kenne, wohl sein?”
Riot Games: “Ja.”
Arcane - League of Legends ist gerade auf Netflix gestartet und die ersten beiden Folgen haben mich sofort gehooked. Ein schicker Zeichenstil trifft auf Jugendstil, Steampunk und ein Revolutionssetting: genau mein Ding und als Bonus hab ich dabei eine Menge “Die 13 Gezeichneten”- und “Die zerbrochene Puppe”-Vibes. Dabei hat jeder einzelne Charakter des diversen Casts etwas Besonderes und wirkt vielschichtig, und die Action ist hervorragend choreographiert. Wenn so die neuen Maßstäbe für Computerspielverfilmungen aussehen, dann freue ich mich auf mehr davon!
Nachdem ich “Ich bin Gideon” als eine Art “Harry Potter meets Warhammer40k meets Dune” (aber ohne die problematischen Komponenten der Einzelteile) gefeiert habe, musste ich für den zweiten Band Ich bin Harrow ein bisschen Geduld mitbringen und mich auf das wildeste Verwirrspiel einlassen, seit Dawn in Buffy aufgetaucht ist. Und auch, wenn man sich 500 Seiten lang “WTFakke soll das?” fragt, lohnt es sich, dranzubleiben, denn es wird alles ganz wunderbar! Immerhin wird der Weg dorthin von spannendem Worldbuilding und einer Art abgedrehten Halbgottheiten-WG begleitet.
Lena
Ich habe im Oktober tatsächlich nur Anarchie Déco gelesen. Nun ist das hier der Newsletter, den ich zusammen mit den beiden Autor*innen schreibe, und vielleicht ist es etwas seltsam, deren Buch zum Oktober-Vavoriten zu erklären…? Andererseits: Außer auf Twitter wüsste ich nicht, wo ich es sonst tun sollte. Und außerdem ist das hier UNSER Newsletter und wer mir jetzt reflexhaftes Abfeiern der Werke meiner Lieblingsmenschen vorwerfen möchte, der möge es tun - I don’t care.
Anarchie Déco war jedenfalls genau das Buch, das ist erwartet und auf das ich mich gefreut habe. Das 20er-Jahre-Flair, der Krimi-Plot, die magische Physik, das total lebendig wirkende Berlin, dem man anmerkt, wie viel Recherche hineingeflossen ist - das ist alles super, aber für mich noch nicht mal das, was den Roman eigentlich ausmacht. Denn natürlich geht es eigentlich um die Dinge, mit denen wir auch heute noch struggeln: Gender-Identität und die Suche nach den richtigen Worten für das eigene Erleben und Fühlen, Strukturen, in denen Marginalisierte untergehen und ausgeschlossen werden, die Frage, ob Kunst wirklich etwas bewegen kann. Viel an Anarchie Déco ist erschreckend und schmerzhaft dicht an unserem heutigen Leben: Die Polizei, die Linke verfolgt und Rechte laufen lässt, die Unangreifbarkeit der Reichen und Mächtigen, die Kämpfe jener, die nicht in die binären Schubladen passen wollen, in die man sie steckt. Trotzdem ist es letztendlich eine Geschichte voller empowernder Momente, voller Bandenbildung zwischen verschiedenen Außenseiter*innen, voller Schlaglichter darauf, dass es immer schon Strukturen und Safe(r) Spaces für die gab, die sie gebraucht und für sich und andere geschaffen haben. Besonders ans Herz gewachsen sind mir auch jene, die zwar ihren Platz in der Welt nicht so sehr in Frage stellen, aber doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten Widerstand leisten und das Richtige tun wollen, vor allem der schon beinahe pensionierte Polizist Seidel und Rabea, die Mutter von Protagonistin Nike. Dazu kommen eine tolle queere Romanze (mit einer ebenso tollen queeren Sexszene), ganz viel großartiger Berliner Slang und ein unfassbar schönes Trainingsmontagenkapitel. Es ist eigentlich wie immer bei den Vögten: Wer eine spannende und mitreißende Geschichte sucht, findet die im Roman - aber dahinter steckt so viel mehr. Das Lesen war mir ein Fest.
Und wo wir bei historischen Orten für queere Menschen sind: Ich habe vor einigen Tagen die letzte Folge der Serie POSE zu Ende geschaut und möchte diese hier noch einmal ausdrücklich sehr empfehlen. Die 3 Staffeln um das Kämpfen und Lieben und Leben und Sterben einer Found Family aus Schwarzen und Latinx trans Frauen und schwulen Männern of Color innerhalb der Ballroom-Szene im New York der 80er und 90er ist wirklich sehr zu empfehlen. POSE ist abwechselnd witzig, tragisch, überdreht, todernst, urkomisch, manchmal kitschig und letzten Endes immer wieder überwältigend, was die Liebe und den Zusammenhalt in der Community angeht, die es portraitiert. (Inhaltshinweise: Die Serie thematisiert durchgehend HIV und die AIDS-Krise, Sexarbeit, Drogen und Gewalt.)
Und damit endet unser Vreundschaftsbrief für November 2021. Danke fürs Abonnieren und Lesen, wir wünschen euch einen gemütlich-herbstlichen Monat. Bis zum nächsten Brief.
Judith, Christian und Lena