Juni-Ausgabe 2022
Herzlich Willkommen zur Juni-Ausgabe des Vreundschaftsbriefs, der damit nun ein Jahr alt wird! Hurra!
CRUNCH
Die neue Queer*Welten ist erschienen! Sie ist frisch Anfang Juni aus der Druckerei gekommen und sollte bei allen Abonnent*innen und Vorbestellenden vielleicht sogar schon eingetroffen sein. Wie immer freuen wir uns sehr, wenn ihr der Ausgabe ein paar Worte auf Social Media oder bestenfalls eine kleine Rezension auf z. B. Amazon spendiert - oder uns als Redaktion eine Kanne Tee für die Redaktion auf Ko-Fi!
Im Genderswapped Podcast gibt es dieses Mal die Aufzeichnung unserer Live-Folge vom 01.06.2022, in der wir mit Mitgliedern der Community über Rollenspiel und Identität gesprochen haben. Vielen Dank an alle, die dabei waren und die ihre Geschichten mit uns geteilt haben! Es gibt die Folge diesmal auch als Video bei YouTube.
Im Audio-Extra reden wir auch nochmal über Identität, und zwar über die Frage, wie sehr sich die eigene Identität auch unbewusst ins Schreiben einschleichen kann, selbst wenn man bestimmte Sachtexte oder Fachbegriffe dafür gar nicht kennt. Angeregt wurde die Diskussion von einem Panel von Lars Schmeink zu progressiver deutscher Science-Fiction, das wir hier noch verlinken werden, wenn es online zu finden ist.
Auf Patreon gab es Anfang Juni die Kurzgeschichte “Reisen mit Zeilinger” als PDF, eBook und Audio!
Apropos Audio: Schildmaid ist als Hörbuch bei Audio-To-Go erschienen, allerdings ist es jetzt drei Monate lang exklusiv auf dem Aboservice Bookbeat verfügbar!
Anarchie Déco steht derweil zum fünften Mal auf einer Longlist! Beim Seraph und KLP ist es bei der Nominierung geblieben, da stehen die Gewinner schon fest - beim Deutschen Science-Fiction Preis, dem Skoutz-Award History und jetzt ganz neu dem Phantastikpreis der Stadt Wetzlar können wir noch hoffen. :D (Witzig übrigens, dass es jetzt in drei verschiedenen Kategorien nominiert wurde: 2x als Fantasy, 2x als Science-Fiction und 1x als historischer Roman!)
Judiths Reihe über Science-Fiction-Autorinnen findet auf TOR Online vorerst mit dem 20. Autorinnenporträt ein Ende: Rebecca Roanhoarse. Natürlich könnte die Reihe noch weitergehen, Autorinnen gibt es genug, aber diese Entscheidung steht noch aus.
Termine:
Tatsächlich stehen für uns drei einige Termine im Juni und Juli an, vielleicht auch was in eurer Nähe?
Am 18.06.2022 lesen die Vögte mit James A. Sullivan um 17 Uhr in der Auferstehungskirche in Köln-Bocklemünd:
Am 24.06. und 26.06.2022 ist Judith jeweils um 20 Uhr beim Loud&Proud-Instagram-Festival dabei - Freitag im Progressive-Phantastik-Interview zusammen mit James, Sonntag bei der Lesung aus “Wie ein bunter Traum” mit Noah Stoffers, Tanja Meurer und Herausgeberin Juliane Seidel.
Am 25.06.2022 findet ihr die Vögte auf der FeenCon! Wir lesen um 14 Uhr im Steinkreis.
Am 01.07.2022 um 19 Uhr halten Judith und Christian einen Vortrag zu Rollenspiel mit anschließendem Minispiel im Literaturhaus Bochum. Um Reservierung wird gebeten unter BuechereiVeranstaltung@bochum.de!
Am 03.07.2022 lesen die Vögte mit James A. Sullivan in der Absinthbar Grotesque in Aachen. - bei dieser Lesung steht die genaue Uhrzeit noch nicht fest, ihr findet sie hoffentlich bald auf www.jcvogt.de! -
Am 08.07.2022 ist Lena beim Homochrom-Literaturfestival in Köln dabei und liest, vermutlich um 16:00 Uhr. Das queere Literaturfestival geht vom 07. - 10.07.2022 und hat noch viele weitere Lesungen queerer Autor*innen.
Am 09.07.2022 um 19:00 Uhr ist Lena beim Multiverse-Event in Bremen im Kukoon dabei: 6 Autor*innen lesen aus Indie-Phantastik und stellen die Vielseitigkeit des Genres vor.
FLUFF
Pride Month als Reminder to Self
It’s Pride Month! Und ich weiß nicht, ob irgendwer von euch relaten kann, aber für mich (Judith) kam er gerade rechtzeitig, um mich aus den spiralförmigen Not-Queer-Enough-Selbstzweifeln zu reißen, ganz knapp vor dem neonfarben rosa-blauen “Ich kapituliere vor dem Gender Binary”-Game-over-Zeichen. Also: Danke Pride Month, dafür, dass du auch kleine binär- und hetero-passing Babyqueers wie mich daran erinnerst, dass es ein Dazugehören zum Nichtdazugehören für uns gibt - viele Leute wie ich, die für die meisten Nicht-Queers unsichtbar queer sind, zeigen ihre Flaggen und bekennen ihre Farben, und das ist toll, weil wir einfach damit zeigen können: Es gehören viel weniger Leute zu eurem “Normal”, als ihr so denkt.
Gleichzeitig ist Passing, so wie die Dinge stehen, ein Privileg. Ich muss keine Gewalt befürchten, wenn ich beim Bäcker Brötchen kaufe und Leute befinden, dass meine Stimme nicht zu meinem Äußeren passt, oder weil Leute sich daran stören, welche Partner*innen ich habe. Das bedeutet einerseits, dass es wichtig ist, auch diese unsichtbare Queerness sichtbar zu machen, weil es das vermeintliche “Normal” zerdeppert. Es bedeutet aber auch, dass wir uns nicht im Pride Month in den Vordergrund drängen und unsere (durchaus vorhandenen) Struggles zentrieren. Wir können mit darauf achten, dass stärker marginalisierten Menschen zugehört wird, indem wir selbst zuhören und ihre Beiträge teilen, egal wie und wo, dass stärker marginalisierte Menschen im Mittelpunkt stehen, wenn sie es wollen, und wir ihnen dafür Platz machen.
Natürlich heißt das nicht, dass wir privilegierteren Queers zu schweigen haben! Ich freue mich über jeden “Ich bin übrigens queer!”-Post von bislang nicht-queer gelesenen Personen und jedes Pride-Badge an jeder Jacke - jede Person, die sich zum Beispiel in einer hetero gelesenen Beziehung als queer identifiziert, ist eine Person mehr, von der keine (oder weniger) Gefahr für andere, stärker marginalisierste Queers ausgeht. Deshalb ist es so wunderbar, dass Jugendliche “ihre” Pride Flags finden, absolut auch, bevor sie zum Beispiel erste sexuelle Erfahrungen machen! Dass sie sich Queerness ohne Berührungsangst, ohne Furcht, ausgegrenzt zu werden, erschließen, dass sie vorbehaltlos sagen können: “Ich finde Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht sexy” oder “Mein eigenes Geschlecht ist fluide” ist ganz großartig und erfordert nicht, dass sie achtzehn werden oder Sex haben oder whatever - bekanntlich ist es TERFs und queerfeindlichen Menschen ein Graus, dass Teenager Queerness so locker für sich entdecken, also muss es gut sein!
Der Pride Month hilft mir dabei, wieder Mut zu fassen, wenn eine konstruierte gesellschaftliche Vorstellung von Normalität wieder allzu hartnäckig geworden ist.
Ich glaube, wenn die Leute, deren Queerness sie stärker marginalisiert, nicht vorangegangen wären, wäre ich nie hinterhergegangen und hätte mich einfach in und mit einer Normalität abgefunden, die mich mein ganzes Leben lang befremdet hätte. Also - Grund zum Feiern: thanks for reminding me, Pride Month!
P.S.: Rainbow Capitalism must die! (Und falls ihr diesen “Ich bin stolz, Haus Slytherin zu sein im Harry Potter House Pride!”-Scheiß nicht mitbekommen habt, seid einfach froh und forscht nicht nach.)
Unsere Vavoriten:
Christian empfiehlt:
Wir haben es getan. Wir haben Top Gun - Sie fürchten weder Tod noch Teufel (ja, das ist tatsächlich der Untertitel) ge-rewatched. Und den empfehle ich ausdrücklich nicht. Ein paar nette F-14-Flugszenen, immer auf der Suche nach Missile Lock, und ein wunderbares no-fomo Volleyballspiel machen einfach den Rest nicht wett, in dem Tom Cruise’ Figur allein toxischer ist als eine ganze Chopper-Jockey-Gang zusammen, und ich werde wohl auf ewig cringen, wenn ich “Take my breath away” höre. Dennoch haben wir uns in Top Gun Maverick gewagt, und er war nicht nur deutlich besser, sondern … geradezu grandios! Der solide Plot kommt ohne große Überraschungen daher. Eine Gruppe von Pilot*innen trainiert (jetzt in modernen F-18s) für eine unmögliche Mission: die Lüftungsöffnung einer Atomanlage eines nicht näher bestimmten Schurkenstaats muss getroffen werden, nachdem ein Trench-Run durchflogen worden ist. Klar, das ist Star Wars, aber ich werde mich bestimmt nicht darüber beschweren. Aber Oida, macht die Fliegerei Spaß! Die Flugstunts sind rasant, mitreißend und größtenteils in echten Maschinen gedreht, Pilot*innen-Bravado (ja, es gibt sogar eine Pilotin) kommt rüber, muss aber auch überwunden werden. Außerdem geht der Film respektvoll mit seinen Figuren um. Es ist erfrischend ungewohnt, dass eine gewisse Admiralstochter den Tennislehrer-Move bei Tom Cruise macht. Ich gebe dem Film vier Hornets und eine Tomcat.
Außerdem empfehle ich die Novelle A Country of Ghosts von Margaret Killjoy. Ein Journalists begleitet eine Kompanie Soldaten einer Kolonialmacht in einem Gunpowder-Fantasy-Setting und macht Bekanntschaft mit einem anarchistischen Landstrich. Das ganze fühlt sich ein wenig wie eine Guerilla-Journalists-Runde in Wexlers “Shadow Campaign” an, und das war natürlich genau mein Ding. Ich mochte außerdem die Figuren und die Gedanken zum Anarchismus. Man merkt, dass Killjoy viele Situationen geschaffen hat, um gewisse anarchiste Konzepte darin unterzubringen und vorzustellen. Das mag Manche stören, mich allerdings nicht, da ich nichts dagegen habe, solche Gedankenexperimente in Prosaform kennenzulernen.
Zudem hat Killjoy einen Podcast namens Cool People Doing Cool Stuff mit Themen wie der Pariser Kommune, der Underground Railroad oder queeren Resistance-Kämpfer*innen.
Lena empfiehlt:
Am Muttertag Anfang Mai habe ich - das war sehr passend, wie sich gleich zeigen wird - Mareike Fallwickls Roman Die Wut, die bleibt an einem Tag verschlungen, nachdem mir vorher viele begeisterte Rezensionen in die Twitter-Timeline gespült wurden. Das Buch greift sehr aktuelle Themen auf, wie die Überlastung von Eltern und vor allem Müttern in der Pandemie, Care-Arbeit, Schönheitsideale und alle möglichen anderen Aspekte, mit denen das Patriarchat das Leben von Frauen und queeren Menschen fremdbestimmt. CN Suizid: Der Roman beginnt damit, dass eine vollkommen überarbeitete dreifache Mutter vom Balkon springt und erzählt dann, wie ihre langjährige beste Freundin und ihre 15-jährige Tochter damit umgehen. Zwischen diesen beiden Perspektivfiguren springt das Buch hin und her, was gleichzeitig noch eine gute weitere Ebene reinbringt, nämlich die verschiedener feministischer Generationen und Strömungen. Aus der Perspektive der Tochter erzählt wird im Roman auch gendergerechte Sprache benutzt (yay!), auch das erste Mal, dass ich das so in E-Literatur gesehen habe. Es geht auch viel um weibliche Solidarität, Selbstermächtigung und das Sich-dem-Patriarchat-Entziehen. Und ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Es hat mir sehr gut gefallen, wie sich alles am Ende auflöst, eine gute Mischung aus Hoffnung und dem Bewusstsein, dass wir hier nur eine ganz kleine Revolution einiger weniger Personen erleben, wo es doch eigentlich viel mehr bräuchte. Oder, um nochmal die Worte zu wiederholen, mit denen ich Judith das Buch in die Hand gedrückt habe: “Hier, dann kannst du das E-Literatur-Schildmaid lesen.” (Welches der beiden Bücher durch die Feuilletons wandert und welches nicht, naja, reden wir nicht drüber…) [Weitere CNs für das Buch: Sexuelle Belästigung, Körperverletzung, Selbstjustiz, Body Images und das Hadern damit, Selbstverletzung, Trauer]
Ich habe außerdem einen neuen Podcast, der mir bisher sehr gut gefällt, nämlich den Dissens-Podcast von und mit Lukas Ondreka. Es ist ein linker Diskussionspodcast, in dem der Host mit wechselnden Expert*innen Gespräche darüber führt, was in unserer Gesellschaft falsch läuft und was sich wie ändern könnte. In den letzten Wochen gab es z. B. ein Gespräch über die drohende Privatisierung von Städten, ein Interview mit dem britischen Faschismus-Experten Paul Mason, eine Folge zur Schaffung einer neuen Verfassung in Chile und ein Gespräch mit Antje Schrupp zum Thema Reproduktive Gerechtigkeit. Die Folgen bleiben angenehm beim Thema und der Host ist immer super vorbereitet und überlässt mit guten Fragen den Gäst*innen den Großteil der Redezeit.
Judith empfiehlt:
Amerikas Gotteskrieger - Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet von Annika Brockschmidt ist so ein Buch, bei dem ich anfangs dachte: “Ach, nach all den Podcasts, die ich zu dem Thema schon gehört habe - ob ich da noch so viel Neues erfahre?” und ho boy. Ja, Einiges davon wusste ich. Einiges davon war neu. Und Vieles wurde auf eine Weise zusammengesetzt, die ein größeres Bild ergab, bei dem ich dann doch vielleicht glücklicher gewesen wäre, wenn ich es nie gesehen hätte. Trotzdem ist das hier absolut ein Lesetipp: Es tut einfach Not zu wissen, wie Evangelikale, Alt-Right und Populismus mit republikanischer Politik zusammenarbeiten und das bereits seit Jahrzehnten. Wie wenig Hoffnung wir haben können, dass da bezüglich Klimakatastrophe, Abtreibungsverbot, Hardcore-Patriarchat und der Bedrohung queerer Menschen irgendein Umdenken einsetzen wird. Es liest sich wie ein Thriller, aber ohne befriedigendes Ende, da für die Evangelikale Rechte das Ende die Apokalypse bedeutet und wir uns damit werden befassen müssen, wie wir verhindern, dass sie uns dahin mitnehmen. Große Empfehlung, aber ihr braucht starke Nerven.
Wir haben mit Fabian Mauruschat einen Kolleg*innenbüchertausch unternommen, und gegen “Schildmaid” und ein paar Queer*Welten den Comic-Prolog Yldis und die Graphic Novel Engels getauscht, die aus Fabians (Text-)Feder stammen (außerdem mitgearbeitet haben L. Carolin Buckenhüskes bzw. Christoph Heuer und Uwe Garske). Zu “Yldis” gibt es hoffentlich bald mehr, der kurze Fantasy-Comic im Stil von “Avatar - Herr der Elemente” meets “Game of Thrones” entstand im Rahmen eines Corona-Stipendiums und soll fortgeführt werden. “Engels” ist überall im Buchhandel erhältlich und eine Comic-Biografie von … Friedrich Engels, natürlich. :D Der ewige Zweitgenannte nach Marx, über den ich auch wenig darüber hinaus wusste. Die Graphic Novel schafft Abhilfe und schlägt dabei gleichzeitig die Brücke zu unserer Zeit und einem Call to Action, was Fast Fashion, Kinderarbeit und Lohnsklaverei im globalen Süden angeht. Mich hat er an die ebenfalls sehr empfehlenswerte Graphic Novel “Rosa” über Rosa Luxemburg erinnert. In vielen thematisch aneinander geknüpften Zeitsprüngen erhellt der Comic schlaglichtartig Facetten von Engels und hat mich um einiges klüger gemacht.
Twitter made me read it - oder genauer Pasuht: iHunt - Killing Monsters in the Gig Economy von Olivia Hill. Der kurze Roman, zu dem es Fortsetzungen und ein Fate-basiertes Rollenspiel gibt, ist genau das: Urban Fantasy mit Monsterjäger*innen, aber die Monsterjagd wird über eine Uber-artige App namens iHunt beauftragt. Das ist absurd, witzig, kapitalismuskritisch, intersektional links mit dem in Romanen selten gewählten Fokus auf Klassismus. Denn Hauptfigur Lana arbeitet unterbezahlt und ausgebeutet in der Service Industry, genauer gesagt, in einem Vergnügungspark, kann nie pünktlich ihre Miete zahlen und geht nach Feierabend aus purer Existenzangst auf Monsterjagd. Das ist spannend - aber noch spannender ist eigentlich, wie das System aus App, Selbständigkeit, Bankensystem und Steuer ihr immer wieder im wahrsten Sinne einen Strich durch die Rechnung macht, ihr Geld abzieht, Zahlungen sperrt, Beträge nicht auszahlt - immer heißt es “Diese Vorgänge sind zu ihrem eigenen Schutz”, aber Lana und die Lesenden wissen: Diese Vorgänge dienen dazu, dass die Armen arm bleiben. Das ist so hervorragend in die Handlung eingebunden, dass sich Vampire, Werwölfe und die Miete als Monster sehr gut ergänzen.
Danke fürs Abonnieren und Lesen und bis zum nächsten Monat!
Christian, Lena und Judith