Januar-Ausgabe 2024
Herzlich Willkommen zur ersten Ausgabe des Vreundschaftsbriefs in diesem Jahr!
CRUNCH
In der Januar-Folge des Genderswapped-Podcasts sprechen wir über allerlei Kurzformate, von Kurzgeschichten über Mini- und Anthologieserien bis hin zu Rollenspiel-Oneshots, Mikrofiktion und Nanogames.
Und im Audio-Extra zur Folge empfehlen wir euch je drei besonders liebgewonnene kurze Geschichten, Audioformate und Rollenspiele.
Auf Patreon gibts die satirische Kurzgeschichte Gallia von Judith, in der sich cis- und transalpine Gallier*innen fragen, ob diese römischen Kategorien nun Schimpfwörter sind oder nicht.
Und hier noch mal der Hinweis, auch wenn viele von euch schon vorbestellt haben (Danke!! 💚): Auch zu “Ich, Hannibal” wird es eine Buchbox geben, diesmal mit Unterstützung der lokalen Buchhandlung. Vorbestellen könnt ihr die Box in unserem Etsy-Store, gepackt und verschickt wird sie dann bei Erscheinen Ende Mai (Etsy zeigt leider automatisch an, man erhielte die Box innerhalb einer Woche, was sich auch nicht umstellen lässt.)
Eine neue Queer*Welten-Sonderausschreibung ist gestartet: Für Ausgabe 12 suchen wir Queere Questen in 600 Zeichen!
Termine:
Zum Jahresanfang haben wir noch keine Termine!
FLUFF
Die Grimms - ein Netflix Original (oder so)
von Judith
Ich habe im Dezember die Biografie “Die Grimms: Eine Familie und ihre Zeit” von Michael Lemster gelesen und kann jetzt endlich Jakob und Wilhelm voneinander unterscheiden (me, an intellectual). Besagte Gebrüder Grimm hatten jedoch noch drei weitere Brüder und eine Schwester, und die Biografie malt eine ausführliche und spannende Szenerie ihrer Zeit sowie der Grimm-Generation vor und nach ihnen. Ich musste dabei immer wieder an den Film “Brothers Grimm” mit Heath Ledger und Matt Damon denken, in dem Jakob und Wilhelm alias Jake und Will durch die Lande ziehen und Hexen und Märchenfiguren verkloppen - und so gern ich “~historische” Fantasy mag, finde ich doch, dass sich die Geschwister Grimm für eine ganze andere Form der Popkultur-Bearbeitung eignen: nämlich als pseudohistorische Familiensaga à la Bridgerton! Regency war gestern, heute ist Romantik, französische Besatzung und Vormärz! Ähnlich wie bei Bridgerton könnte jede Staffel ein anderes Geschwister in den Mittelpunkt stellen: Jakob, der als verarmter Halbwaise Orientierung in Bildung sucht und zum intellektuellen Arbeitstier, unverheirateten Familienpatriarchen und Demokraten wider Willen wird. Ich denke, die Göttinger Sieben (Uniprofessoren, die gegen die Aufhebung der hannoveranischen Verfassung protestierten) lassen sich filmisch ähnlich zusammenstellen wie die sieben Samurai!
Die zweite Staffel dann über Wilhelm, chronisch krank, aber noch stärker als sein Bruder dem Sammeln von Märchen, Sagen und Legenden verbunden (und auch einer der Göttinger Sieben [Samurai]). Er hatte ein Techtelmechtel mit Jenny von Droste Hülshoff und Albträume von ihrer schreibenden Schwester Annette, und heiratete dann eine Jugendfreundin, ohne Jenny davon in seinen Briefen zu berichten, die es irgendwann über Dritte erfuhr.
Richtig romantisch wird es aber eigentlich in Staffel drei, über Lui, den malenden Bruder - ein wahres Kind der Romantik, der mit den von Arnims und Brentano verkehrte, gegen Frankreich in den Krieg zog (obwohl Jakob eigentlich damit den Nichtsnutz-Bruder Ferdinand loswerden wollte und nicht ihn) und mit Brentano durch Italien reiste, während seine Liebste in München versuchte, nicht ins Kloster gesteckt zu werden. Das gelang zwar, geheiratet hat Lui aber dennoch eine andere. Marie starb, Lui litt - und war eine Zeitlang alleinerziehender Vater seiner Tochter Friederike alias “Ideken”.
Staffel vier dreht sich um Ferdinand, den Tunichtgut der Familie, den Jakob als faul und nichtsnutzig empfand, für den er aber vermutlich die Messlatte zu hoch und die Anerkennung zu niedrig hängte, denn Ferdinand trug seinen beiden berühmten Brüdern Märchen zu, hatte vielleicht was mit Wilhelms Frau, schrieb anonyme Familiensatire über die Grimms als Fortsetzungsroman in der Zeitung und brachte schließlich seinen eigenen Märchenband heraus. Jakob, Wilhelm und Lui sind in ihren Briefen und Biografien nie konkret geworden in dem, was sie an Ferdinand so brüskiert hat, aber das bedeutet, die Netflix-Serie hat jede Menge pikanten Spielraum!
Abgesetzt wird sie leider, bevor Carl und Lotte Grimm eigene Staffeln erhalten. Carl hat nur wenige Spuren hinterlassen, war vor allem Soldat und Weinhändler in Frankreich, und Lotte litt in einer bourgeoisen Familie aus männlichen Künstlern und Intellektuellen das Schicksal der unsichtbaren Sorgearbeitenden: Ihren lange ledigen Brüdern musste sie den Haushalt machen und galt ihnen trotzdem als faul und unwillig. Mit 32 durfte sie dann heiraten und dasselbe für einen anderen Mann erledigen, bevor sie nach zu vielen Kindern in zu kurzer Zeit wenige Wochen nach einer Geburt verstarb. Wer weiß, welche Interessen an Geschichte, Bildern und Sprache sie so hatte - wir werden es nie erfahren, und auch die Netflix-Serie wird vermutlich nebulös bleiben, es sei denn, es gibt eine “Bring Lotte Grimm back”-Petition für Staffel fünf.
Aber eins fehlt noch für den Erfolg der ersten Staffeln: Es gibt natürlich auch eine adlige Rahmenhandlung! Wilhelm II., Kurfürst von Hessen-Kassel, unterschätzte vor allem Jakob und Wilhelm als Intellektuelle, während seine Frau, Prinzessin Auguste, den Grimms immer wohlgesinnt war. Weil er Auguste verstieß, um seine Geliebte Emilie an den Hof zu holen, bildete sich um Auguste und Kurprinz Friedrich Wilhelm der “Schönfelder Kreis”, zu denen auch die Grimms gehörten und der immer wieder mal des Umsturzes verdächtigt wurde. Also, wenn das mal nicht Stoff für den neuen großen Netflix-Hit aus Deutschland hergibt, ganz ohne Hexen- und Monsterschnetzeln! Ich warte auf den Anruf, Netflix!
Vavoriten
Lena empfiehlt:
Dank kostenlosem Probe-Abo schaue ich ja gerade viel AppleTV, und neben der von den Vögten schon mehrfach empfohlenen Alternate-History-Serie "For All Mankind" hat es mir aktuell The Morning Show sehr angetan. Die Serie, die am Set einer fiktiven Morning-Talkshow spielt, beginnt damit, dass der seit 15 Jahren tätige Nachrichten-Anker wegen sexueller Belästigung entlassen wird und dreht sich dann in der ersten Staffel darum, welche Auswirkungen das auf die anderen Angestellten, die Vorgesetzten und vor allem seine Co-Sprecherin hat. Wer wusste was, wer hängt mit drin, wer hat mit Schuld? Staffel 1 ist eine Me-Too-Aufarbeitung in vielen Grauschattierungen, Staffel 2 widmet sich dann auf wirklich gut gemachte und beklemmende Weise den 3 Monaten von Januar bis März 2020, in denen die nahende Pandemie immer greifbarer wird und Pläne, Probleme und Beziehungen plötzlich unwichtig erscheinen lässt. Die dritte Staffel (die ich noch nicht ganz beendet habe) dreht sich um die Rolle der Medien und deren Kampf um Glaubwürdigkeit im Fake-News-Zeitalter, um Rassismus im Arbeitsumfeld und fragwürdige Allianzen mit Milliardären. Die Figuren sind alle vielschichtig und mal liebenswert, mal absolut furchtbar, das Ringen darum, welche Themen man den durchschnittlichen Zuschauenden “zumuten” kann, kommt sehr gut rüber. Und ab Staffel 2 gibts auch noch ein queeres Pairing mit viel Auf und Ab. Für mich eine der großen Entdeckungen in der AppleTV-Welt.
Auf Netflix hingegen gibt es seit ein paar Wochen die Verfilmung von In The Heights, dem Musical, das Lin-Manuel Miranda vor "Hamilton" geschrieben hat. Die Hauptrolle spielt Anthony Ramos (John Laurens/Philip Hamilton aus Hamilton), Miranda selbst hat keine kleine Nebenrolle, in weiteren Nebenrollen sind u. a. Stephanie Beatriz und Jimmy Smits zu sehen. In The Heights erzählt die Geschichte einer Community aus südamerikanischen Immigrant*innen im New Yorker Stadtteil Washington Heights. Es geht um junge Liebe, Beziehungen zwischen Kind und (Wahl-)Eltern, Träume von Erfolg und Reichtum und den Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Eine Rezension, die ich gelesen habe, hat das Musical als “West Side Story mit weniger Konflikten” bezeichnet und das trifft es schon ganz gut: Es ist vor allem ein schöner und wholesome Blick auf größtenteils junge Menschen, die ihre Träume verfolgen (auch wenn es traurige Momente und ernste Themen gibt). Und natürlich gibt es schön choreographierte Tanzszenen, teils mit übernatürlich-künstlerischen Elementen. In The Heights hat für mich nicht ganz die emotionale Durchschlagskraft wie Hamilton, ist aber auf jeden Fall sehenswert.
Gelesen habe ich in den letzten Tagen des alten Jahres noch ein Sachbuch, nämlich Wie viel - Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht von Mareice Kaiser. In dem Buch untersucht Kaiser die toxische Beziehung, die sie selbst zu Geld hat (sie hasst es gleichzeitig und will doch gern viel davon haben), schildert aufgrund ihrer Biographie, wie Geld und Herkunft für sie immer wieder Hindernisse bereithalten - und interviewt andere Menschen, vom flaschensammelnden Rentner, der es sich nicht leisten kann, die Heizung in seiner Wohnung anzustellen, bis zur Millionenerbin. Gerade diese Protokolle sind sehr interessant, aber daneben bietet das Buch auch noch einen Überblick über Armut als bewusst aufrecht erhaltene Unterdrückung und über die immer größer werdende Schere zwischen Armut und Hyperreichtum. Zugegeben, das Buch war die Eule und ich war Athen, aber ich habe es trotzdem sehr gerne gelesen und kann es allen, die sich mit Klassismus, Armut und Geldverhältnissen befassen wollen, empfehlen.
Christian empfiehlt:
Was wäre die kalte Jahreszeit ohne Brettspiele? Wir haben uns die Zeit zwischen den Jahren mit zwei Legacy-Spielen versüßt, also Spielen, die sich von Runde zu Runde weiterentwickeln. Eins davon ist Tumult in Niewinter, ein D&D-Escaperoom/Abenteuerspiel, bestehend aus drei Teilen, in dem man außer dem Lösen der üblichen Rätsel auch ein paar Monster verkloppen sowie Räume erkunden muss, wobei man sogar Loot abgreift. Man erstellt einen rudimentären Charakter mit Volk und Klasse (Miniaturen und ein W20 liegen bei). Das Ganze wird dabei nie zu crunchy, behält aber trotzdem den Charm eines Rollenspiels, obwohl es ein Escaperoom ist. Auf Ereigniskarten werden die Spielenden sogar immer wieder zur Ausgestaltung des eigenen Charakters und kleinen rollenspielerischen Einlagen aufgefordert. Gerade zum Reinschnuppern ins RPG-Hobby eignet sich Tumult in Niewinter, bietet aber auch charmanten Spaß für alte Hasen.
Judith empfiehlt:
Unser zweites winterliches Brettspiel heißt Aeon’s End Legacy. “Aeon’s End” ist ein kooperatives Deckbuilding-Spiel, das ohnehin schon mit einer Story unterfüttert ist - was läge also näher, als es zum Legacy-Spiel zu machen? In “Aeon’s End Legacy” wählt man aus vier Charakteren, die zunächst mit rudimentären magischen Fähigkeiten ausgestattet sind und sich in einer Verteidigung ihrer Heimat gegen übernatürliche Wesen aus dem Jenseits auf die harte Tour zum “Breach Mage” entwickeln müssen. Die Geschichte wird über Karten und Umschläge erzählt, Boxen werden geöffnet, Fähigkeiten erweitert und aufgeklebt, die Optik der Charaktere verändert sich - und manchmal werden sie auch langfristig sabotiert und angeschlagen und müssen mit einer Veränderung zum Negativen klarkommen. Die übernatürlichen Gegner*innen sind alle sehr unterschiedlich und bringen ganz verschiedene Fähigkeiten und Sonderregeln mit, was sehr reizvoll ist. Die Story hingegen ist eher konventionell und vorhersehbar, was grundsätzlich dafür gesorgt hat, dass ich das Spiel gern gespielt habe (von acht Partien haben wir eine verloren und die restlichen immer mit einem Gefühl von Dringlichkeit, aber nicht allzu knapp gewonnen), aber dass es mich nicht vom Hocker gehauen hat wie das unerreichte “Pandemic Legacy” in all seinen Staffeln. Aber das ist auch eine hohe Messlatte!
Wenn die Legacy-Variante durchgespielt ist, kann man das Spiel und die selbstgebauten Charaktere übrigens weiterspielen und benötigt nicht das Grundspiel.
Danke fürs Abonnieren und Lesen!
Lena, Judith und Christian