Dezember-Ausgabe 2023
Herzlich Willkommen zur letzten Ausgabe des Vreundschaftsbriefs in diesem Jahr!
CRUNCH
Die Dezember-Folge des Genderswapped-Podcasts ist ein bisschen ungewöhnlich: Wir konnten den Film “Franky Five Star” digital vorab-streamen und ein Interview mit Hauptdarstellerin Lena Urzendowsky führen, die auch in Judiths und Christian Hörspiel “Die Vorboten” eine der drei Hauptrollen spielt. Wir hoffen, die Folge macht auch Spaß, wenn man den Indie-Film nicht gesehen hat - wir schaffen es, ein Hotel-Rollenspiel zu empfehlen und über Rezeptionsästhetik zu debattieren! :D
Im Audio-Extra machen wir analog zum Film einen Abstecher in die Hotels in unseren Köpfen und nennen euch Alter Egos, die dort wohnen.
Wir schicken in der nächsten Woche das alljährliche Goodie für Patreon-Unterstützer*innen des Podcasts raus! Wenn ihr uns auf Patreon unterstützt, aber uns noch nicht eure Adresse geschickt habt (entweder über Patreon oder an judith@jcvogt.de), dann ist jetzt die beste (und letzte) Gelegenheit, um noch Weihnachtspost von uns zu erhalten!
Auf Patreon gibts in diesem Monat 24 Hopepunk-Fragen als Adventskalender, aus der Feder von Frank, Lena, Christian und Judith. Hier findet ihr die erste!
Auf TOR Online durften wir unsere Weihnachtsempfehlungen loswerden! Ihr findet dort auch noch zahlreiche andere Buchempfehlungen von Kolleg*innen, viel Spaß beim (Selbstbe-)Schenken!
Das Science Fiction Jahr 2023 ist erschienen, einer der beiden Themenschwerpunkte ist Alternate History, also findet sich dort ein Essay von Judith mit dem Titel “Fixpunkte der Zeit”. Es geht darum, was wir als in der Geschichte festgeschrieben wahrnehmen, also als unveränderliche historische Tatsache.
Es wurde nach Buch + Tee gerufen und wir haben dem Ruf Folge geleistet! Auch zu “Ich, Hannibal” wird es eine Buchbox geben, diesmal mit Unterstützung der lokalen Buchhandlung. Vorbestellen könnt ihr die Box in unserem Etsy-Store, gepackt und verschickt wird sie dann bei Erscheinen Ende Mai (Etsy zeigt leider automatisch an, man erhielte die Box innerhalb einer Woche, was sich auch nicht umstellen lässt.)
In besagtem Etsy-Store gibt es generell die Möglichkeit, signierte Bücher der Vögte zu bestellen und zum Beispiel zu verschenken. Teils gibts dort auch noch letzte Exemplare von ansonsten vergriffenen Büchern wie den 13 Gezeichneten oder dem Eis&Dampf-Rollenspiel.
Auch Lenas Novelle “Dies ist mein letztes Lied” könnt ihr signiert erhalten! Schickt dazu einfach eine Mail an info@lenarichter.com - es gibt sogar noch genügend “Zutaten” für zwei der eigentlich vergriffenen Buchboxen mit Tee und Goodies.
In diesem Jahr haben wir keine Termine mehr!
FLUFF
Zum Trost ein Sixpack
(von Judith)
In einer immer düsterer und komplexer erscheinenden Welt suchen besonders Leserinnen oft Trost bei einem Sixpack. Nein, es ist kein Bier gemeint. Sondern die imaginierten Männerkörper, die gerade in den letzten Jahren über Genregrenzen hinweg immer dieselbe Form annehmen: den geshapeten maskulinen Gym-Body.
Während bei femininen Körperbildern immer noch nicht genug, aber endlich - ENDLICH - mehr Vielfalt Einzug hält und Protagonistinnen nicht mehr alle zierlich-normschön sein müssen, sondern ab und zu auch Falten, Dehnungsstreifen, Speckrollen, Narben oder Behinderungen haben dürfen (wenn auch seltenst zum Beispiel Hautunreinheiten, lieber eine ordentliche Gesichtsnarbe!), pflegen sie sich doch meist in genau einen Typ Mann zu verlieben: den Six-Pack-Mann. Der ist groß, so groß, dass sie bei jeder tröstlichen Umarmung mit dem Gesicht zwischen seinen Brustmuskeln landen und besagtem Muskel etwas Zärtliches zuflüstern (ohne Witz oder Übertreibung, in meiner aktuellen Übersetzung passiert genau das!). Wenn er zum Beispiel ein Dämon ist, wird er aus Versehen oberkörperfrei beschworen, damit seine SIX PACK AAAABS sofort sichtbar sind und sehr ablenkend. Und wenn es sich nicht um einen Dämon, sondern um einen, sagen wir Sechzehnjährigen in einem Jugendbuch handelt, dann hat die Figur auch immer Zeit, um ungesehen mitten in der Handlung regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen und Proteinpulver zu sich zu nehmen, auch wenn wir uns in einer Fantasy-Sekundärwelt befinden.
Es tut mir leid, Leute, aber … was ist das bitte für ein Männerbild und KANN ES WEG???
Klar, Fantasy ist nicht aufs Fantasy-Genre beschränkt, und es gehört sicherlich zum Autorinnen-Eskapismus dazu, sich das perfekte Love Interest auszumalen, aber wenn das dann flächendeckend derselbe Typ Mann ist - und zwar derselbe, der uns auch aus jeder Werbeanzeige und aus jedem Kinofilm anlächelt - sind wir dann vielleicht dabei, männliche Körperbilder, die dem nicht entsprechen, abzuwerten, obwohl wir unperfekte Frauen und weiblich gelesene Leute mit den zu kleinen Brüsten, dem zu dicken Hintern und den Cellulitis-Oberschenkeln, der Akne und dem langweiligen Haar, den Winkeärmchen und den Leberflecken gerade gelernt haben, dass wir Normschönheit den Stinkefinger zeigen sollten? Und das, wo wir doch gerade mit “Men writing women” seziert und angeprangert haben, wie männliche Autoren über Frauen schreiben!
Welche Art von Empowerment soll das sein, wenn wir weiblich gelesenen Körpern Vielfalt erkämpfen und männlich gelesene Körper auf genau ein erstrebenswertes, hoch artifizielles Bild zurechtfantasieren?
(Und lasst mich gar nicht davon anfangen, was passiert, wenn die Sixpack-Männer auch die unteren Hüllen fallenlassen. Schon seit Jahrzehnten haben sie über alle Genres hinweg den Längsten. Es gibt nur einen einzigen Grund, weshalb ich in vielen meiner Sexszenen erwähne, dass der beteiligte Penis eine nicht bemerkenswerte Länge hat: weil ich verdammt noch mal normalisieren will, dass Leute nicht den Längsten von allen haben müssen, damit man in Sexszenen Spaß miteinander hat.)
Und ja, es ist Phantasie, auch abseits der Phantastik. Aber wir wissen doch längst, welche Wirkmacht Klischees, Stereotype und Körperbilder haben? BookTok lechzt nach dem immer neusten aggressiven, starken Enemies-to-Lovers-Sixpack-Mann, der dich erst töten wollen muss, um sich in dich zu verlieben, und Teenage-TikTok macht Videos, in denen es heißt “an einem Mann ist mir alles egal, aber er muss mindestens 1,85m sein und durchtrainiert” und stürzt schon fünfzehnjährige Jungs in dysphorische Überforderung, weil sie nicht die geforderten Muskeln, die geforderte Körpergröße oder gar schon den geforderten Dreitagebart aufweisen können.
Wisst ihr noch, als der 14jährige Harry Potter in der Verfilmung vom “Feuerkelch” in Badehose in den See springt und dabei sein verdammtes Sixpack enthüllt? Das er sich offscreen im … Hogsmeade-Gym zugelegt hat, oder was? Der Typ kann zaubern, wenn der nicht an seine Tafel Schokolade drankommt, lässt er sie Wingardium-Leviosa zu sich rüberschweben?? Woher hat er das Sixpack? Die Antwort ist einfach: Er hat es sich vermutlich gezaubert. Ist in die verbotene Abteilung der Bibliothek geschlichen und hat dort das Buch herausgezogen “Der generisch-attraktive maskuline Körper in 12 einfachen Zaubersprüchen”. Aus Angst, dass seine Mitschüler*innen über seinen vierzehnjährigen Magierbody lachen, hat er sich vor dem Sprung ins Wasser eine Illusion über den Leib gelegt. Würden wir so eine Szene mal in einem Film sehen (natürlich bitte keinem Film, der der Terf-Autorin Geld aufs Konto spült), würde sie uns vielleicht nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken bringen.
Und so lange es diese Szenen nicht gibt, sollten wir uns klarmachen, dass auch Wish-Fulfillment-Fantasy mehr Diversität braucht. Romanszenen spielen nicht nur mit Bildern und Beschreibungen, sondern auch mit Gefühlen, und klar ist es möglich, kleine, dicke, dünne, bartwuchslose, körperbehaarte, unsportliche, faltige Männer, Männer mit Behinderungen, Akne, Haarausfall, kleinen, mittleren und keinen Penissen verdammt sexy zu schreiben! Man müsste es nur wollen.
Vavoriten
Judith empfiehlt:
Ich habe es hier schon mal empfohlen, daher nur ein kleines Bemerknis, da Disney+ nicht automatisch Bescheid sagt: Die vierte Staffel der Vampir-Mockumentary What We Do In the Shadows ist dort endlich verfügbar!
“Guillermo, svitch on dse TV!”
Ich habe Ursula K. Le Guins letzten Roman Lavinia gelesen, eine Annäherung an die Italerin, die Aeneas nach seinem Exodus aus Troja heiratet, um mit ihr Rom zu gründen. Le Guin nähert sich der im Vergil’schen Epos nur mit den üblichen, einer tugendhaften (ersten) Römerin zugedachten Attributen beschriebenen Figur der Lavinia an. Dabei schildert sie nicht nur glaubhaft ein vor-römisches Volk und seine Geschlechterrollen und setzt sich mit Krieg, Macht und Männlichkeit auseinander (es ist ein bisschen seelenverwandt mit “Ich, Hannibal”), sondern es gelingt ihr zudem, eine Meta-Auseinandersetzung zwischen Lavinia und ihrem Dichter Vergil zu inszenieren, in der es um Schicksal, Weissagung und die Unsterblichkeit von fiktiven Figuren geht. Je älter ich werde, desto mehr kann ich für mich selbst in Le Guins Spätwerken finden, manchmal hab ich den Eindruck, sie hat für jedes Thema, das mich umtreibt, den passenden Roman, die passende Geschichte oder den passenden Essay parat. Danke, Ursula.
Christian empfiehlt:
Es ist kein Geheimnis, dass ich bei Schmiedeszenen manchmal Pipi in den Augen habe. Und keine andere filmische Umsetzung hat so gute Schmiedeszenen wie Blue Eye Samurai (Netflix). Es ist vielleicht die einzige szenische Darstellung, die nicht irgendwo vollkommenen Schmiede-Bullshit enthält, wirklich gut recherchiert, dazu total stimmig und es gibt der Schmiedeszenen reichlich. Aber vielleicht reiße ich mich mal vom Spezialinteresse los: Es gibt viele weitere Gründe, die Serie zu gucken. Sie ist animiert (aber kein Anime, sondern von einem amerikanischen Studio an japanische Kunst angelehnt, was auch optisch eindeutig ist), spielt in Japan zur Zeit der Abschottung im 17. Jahrhundert und erzählt eine Geschichte von Ausgrenzung, Rache und Genderrollen. Dabei sind die Figuren toll gezeichnet, die Optik wunderschön und die Kämpfe stylisch. Der historische Hintergrund ist gut recherchiert und die gezeigte Diversität passt perfekt ins Gesamtbild. Allerdings ist die Serie physisch und psychisch sehr brutal und düster. Wenn das für euch kein Hindernis darstellt, wird die Serie sicher zu begeistern wissen.
Lena empfiehlt:
Ich habe über längere Zeit hinweg in kleinen Häppchen die Serie Spike-Lee-Serie She’s Gotta Have it auf Netflix geschaut. Die wiederum ist quasi ein modernisiertes Remake des gleichnamigen Films aus den 80ern, den ich leider nicht noch zum Vergleich schauen konnte, weil Netflix ihn aus dem Programm genommen hat. Aber wenn man Spike Lee ist, kann man die eigenen Werke ja einfach mal neu auflegen! In der Serie geht es um Nola Darling, eine Schwarze Künstlerin in Brooklyn, die nicht nur versucht, mit ihrer Kunst erfolgreich zu werden, ehe ihre Vermieterin sie aus der Wohnung kickt, sondern auch ihre Beziehungen zu (anfangs) drei sehr unterschiedlichen Männern zu balancieren. Im Gegensatz zum Original-Film ist Nola aber nicht nur polyamor, sondern auch pan und hat auch Beziehungen zu Frauen. Während das Liebesdrama der “Aufhänger” ist, geht es in der Serie aber um sehr viel mehr: Kunst und Gentrifizierung, Körperbilder von Schwarzen Frauen, sexuelle Belästigung, Auseinandersetzungen innerhalb der Schwarzen Community, etc. Gerade Staffel 2 geht weiter weg von Nolas Liebesleben und thematisiert u. a. die Lage in Puerto Rico nach dem Hurricane, stellt Schwarze Künstler*innen vor, die in der Serie selbst zu sehen sind und zu Wort kommen, und macht in der letzten Folge eine extrem interessante Debatte darüber auf, was Kunst thematisieren darf und sollte und wer das Recht hat, darüber zu urteilen. Die Serie ist gleichzeitig sehr in der Kulturszene verankert (und zeigt auch immer wieder z. B. die Albumcover der gespielten Musikstücke) und wirkt gleichzeitig in manchen Folgen beinahe märchenhaft in ihrer Beleuchtung von Mikrokosmen. Ich habe sie sehr gerne gesehen.
Auf Prime hingegen gibt es den von gefühlt allen Queers meiner Timeline sehnlichst erwarteten Film Bottoms von Emma Seligman, mit Ayo Edebiri und Rachel Sennot in den Hauptrollen. Er ist irgendwas zwischen High School Comedy und Fightclub-Persiflage: Die beiden queeren Außenseiterinnen PJ und Josie gründen einen Fight Club für Mädchen an ihrer Schule, um darüber an ihre jeweiligen Crushes ranzukommen. Von denen eine natürlich die aktuelle Freundin des Football-Stars der Schule ist, der auf herrlich übertriebene Weise vergöttert wird (es gibt ein Wandgemälde von ihm in der Cafeteria!). Daraus entspinnt sich ein völlig absurd-unterhaltsamer Plot mit einigen wirklich großartig lustigen Szenen und einem ebenso an den Haaren herbeigezogenen wie witzigen Finale. Das ist alles jetzt nicht der Film des Jahrhunderts, aber gerade das feiere ich - queere und female-driven Filme müssen halt nicht immer vollkommen perfekt und die beste Erfindung seit geschnitten Brot sein, sie dürfen auch einfach lustig-unterhaltsame Persiflagen sein. Bottoms gibt es aktuell inklusive bei Prime.
Danke fürs Abonnieren und Lesen und kommt gut ins neue Jahr! Wir lesen uns im Januar.
Judith, Christian und Lena