April-Ausgabe 2022
Herzlich Willkommen zur April-Ausgabe des Vreundschaftsbriefs!
CRUNCH
Judith hat eine Geschichte zur queeren Kindergeschichten-Anthologie Wie ein bunter Traum beigesteuert - in “Enthüllungskuchen” hat Hauptfigur Anik zwei Probleme: a) stimmungsabhängig bunten Nagellack b) Anik kann Gedanken lesen (und muss sie sofort aussprechen). Auf der Flucht vor Bullys sucht Anik Schutz in einer magischen Bäckerei (eines gewissen backenden 13-Gezeichneten-Protagonisten) und hilft bei der Vorbereitung der einzig sinnvollen Form von Gender-Reveal-Party.
Im Genderswapped Podcast gibt es im April eine Lesung mit Blick hinter die Kulissen, nämlich von Lenas Geschichte “Wandel” aus der Anthologie "Hic Sunt Dracones". Wir reden danach noch über die Anthologie, über Inhaltshinweise und Tags und über Community Magic als Konzept.
Im Audio-Extra für Patreon geht es dann um Real Life Community Magic: Geschehnisse aus dem echten Leben, die uns positiv oder negativ als Gemeinschaftsprojekte aufgefallen sind.
Im April gab es als Patreon-Goodie ein Add-On zu Christians Spiel Mudbastards!, nämlich Teenage Mutant Kung Fu Roaches, und ja, man kann damit auch Schildkröten in der Kanalisation spielen.
ANARCHIE DÉCO steht auch als bester Roman auf der Shortlist des Deutschen Science Fiction Preises und ist damit schon zum zweiten Mal für einen Science-Fiction-Preis nominiert! Es lebe die Umkehrung des berühmten Clarke’schen Gesetzes: Jede hinreichend erklärte Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden.
Auf TOR Online ist Judiths Porträt von Lois McMaster Bujold erschienen. Und Christian hat dort einen Essay zur Heldenreise veröffentlicht.
Judiths Übersetzung vom 2. Teil der “Lady Astronaut”-Reihe von Mary Robinette Kowal ist ganz frisch bei Piper angekündigt: “Für die Sterne bestimmt”!
Und das Crowdfunding zu Charmante Schwertlesben ist abgeschlossen - und zwar so erfolgreich, dass auch Judiths und Christians Setting “ARGR! Charmante Schildlesben” finanziert ist!
Gefreut haben wir Vögte uns über viele positive Rückmeldungen in diesem ersten Monat nach dem Erscheinen von Schildmaid! 1000 Dank dafür! Und wenn ihr noch nicht überzeugt von der Viking Age + Feminismus-Kombi seid, lest im Fluff-Teil Judiths Werkstattbericht oder schaut in diese sehr begeisterte Videorezension auf dem sympathischen Bücherwelten-Kanal!
Termine:
Im April haben wir drei nix vor.
Ihr könnt aber zum Beispiel die 20 Jahre Piper Fantasy Lesenacht auf YouTube nachholen, wenn ihr mögt!
FLUFF
Warum Wikinger?
Ein kleiner Werkstattbericht von den Vögten
Christian:
Wir haben schon ein paar mal erzählt, welche Ideen dazu geführt haben, dass wir Piper unser neustes Projekt gepitcht haben, aber was wir bisher immer verschwiegen haben, ist, dass der erste Gedanke war, eine gewisse Wikinger-Fan-Klientel zu ärgern.
Dazu vorher ein kurzer Recap: Die Idee zu Schildmaid ist natürlich den Berichten zum Birka-Grab bj581 geschuldet. Es handelt sich dabei um einen Grabfund aus der Wikingzeit, der 2018 mittels DNA-Analyse neu bewertet wurde. In diesem von Kleidung über Grabbeigaben bis hin zu Waffen “männlich” ausgestatteten und bereits vor 150 Jahren gefundenen Grab wurde festgestellt, dass eine Person mit Doppel-X-Chromosomen bestattet wurde. Durch die Presse ging, dass es sich offenbar um eine Schildmaid handle - genauso gut ist natürlich möglich, und das wird in der Archäologie natürlich auch mitgedacht, dass es sich um eine genderqueere Person oder einen trans Mann handelt. Die Forschungen beschäftigt sich heute eingehend mit Fragen zu Geschlecht und Geschlechterrollen in diesem Kontext, aber allgemein fällt es einige schwer, sich vom festgefahrenen Bild der weißen, männlichen Wikinger zu lösen, einem Bild, das mit vielen völkischen Klischees aufgeladen ist und von rechts immer wieder vereinnahmt wurde. Es wurde viel hin und her diskutiert: Sind die Knochen falsch zugeordnet worden? War die Frau vielleicht die Frau eines Schmieds, der ihr den ganzen Kram halt so da reingelegt hat? Hat jemand zufällig nach einem Plünderzug all seine Ausrüstung in diesem Grab verloren? Das und andere hanebüchene Einwände folgten dieser Entdeckung, um das Bild der männlichen Kriegerelite bloß nicht ins Wanken zu bringen.
Ich wollte dem sozusagen als narrativem Stinkefinger eine Geschichte von 20 Frauen auf einem Langboot entgegenstellen, und Judith war sofort begeistert von der Idee. Wikinger als Thema ist so eine Hassliebe von uns - wir haben ja auch bei den Thorwaler*innen des Schwarzen Auges mitgearbeitet und finden viele Aspekte des Viking Age sehr interessant und faszinierend. Gleichzeitig ist uns vieles daran zuwider: Die Vereinnahmung von rechts genauso wie - lasst uns da ehrlich sein - dass eine Kultur eines mordenden und versklavenden Patriarchats schon auch dazu einlädt, von Nazis vereinnahmt zu werden.
Dem gegenüber steht die female power fantasy der Schildmaid - inwieweit war es Frauen denn nun doch möglich, aus diesen patriarchalen Geschlechterrollen auszubrechen? Die Recherche machte uns schnell klar, dass der empowernde Gegenentwurf von Schildmaiden, kriegerischen wehrhaften und auch aggressiven Frauen im Wikingzeitalter ebenfalls nicht dem entspricht, was Archäologie und Geschichtswissenschaften aus der Vergangenheit herauslesen. Wir sind in der Recherche auf Vieles gestoßen, das damals präsent war und auch heute nicht überwunden ist: Patriarchat, Sexismus, Queerfeindlichkeit.
Judith: Auch hier kam wieder eine gute Portion Hassliebe zum Einsatz: Einerseits wurden wir immer wütender auf diese Kultkontinuität toxischer Männlichkeit in Europa - andererseits passte es einfach wie Arsch auf Eimer in das Romankonzept, das wir dem Verlag vorgeschlagen hatten und wir mussten die Verhältnisse weder verfälschen noch überdramatisieren: Unsere Geschichte über einen Roadtrip von 20 Frauen (und Ulfberht) auf einem Langboot ist eine Geschichte von gesellschaftlichen Abweichler*innen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie durch die Maschen eines fast lückenlosen Patriarchats gefallen (oder geklettert) sind. Dass sie patriarchale Gewalt in verschiedenen Formen erfahren haben, und dass sie vom Willen angetrieben werden, dass es etwas Besseres als das geben muss.
Solche Abweichler*innen hat es zu jeder Zeit gegeben, da ist sich auch die Archäologie einig.
Bitter daran ist nur, dass wir bis heute hoffen, dass es etwas Besseres geben muss - aber wir sind dem Besseren nur wenige Schrittchen näher gekommen und es gibt noch eine ganze Menge zu tun und eine ganze Welt zu verändern.
Vavoriten
Lena empfiehlt:
Ich hab heute eine etwas ungewöhnliche Empfehlung, nämlich die, 2 Bücher parallel zu lesen: Ich habe auch gerade Schildmaid beendet, gleichzeitig aber auch Laurie Pennys gerade erschienenes Buch Sexual Revolution/Sexuelle Revolution gelesen. Ich empfehle beide sehr auch für sich genommen, aber: Ich habe beim Lesen zwischen den Büchern hin- und hergewechselt und sie ergänzen sich so gut, dass man glauben könnte, sie seien für eine gemeinsame Lektüre konzipiert worden. Beiden liegt der Grundgedanke inne, dass Frauen und queere Menschen unterdrückt werden, und traurigerweise gibt es nicht so große Unterschiede zwischen dem Wikingzeitalter und der Gegenwart, wie wir uns das gerne einreden würden (wie die Vögte auch im Nachwort zum Roman ausführen). Wo Schildmaid anhand einer Collage aus Einzelschicksalen zeigt, auf wie vielfältige Arten Frauen und nicht-binäre Menschen kleingehalten und unterdrückt werden, wirft Sexual Revolution einen Überblick über all die Wege, die das Patriarchat gefunden hat, dies zu tun: Von sexueller Gewalt über die Versuche, Personen mit Uterus zum Austragen von Kindern zu zwingen, von Gender Pay und Gender Leisure Gap, von Schönheitsidealen und der heteronormativen Vorstellung von Sex als etwas, das ein Mann mit einer Frau tut, die es irgendwie erduldet. “It’s dangerous to get between a rich, powerful man and something he wants”, schreibt Penny, und der Satz könnte auch als Zusammenfassung eines Hauptkonflikts in Schildmaid dienen. Aber nach dieser Bestandsaufnahme schauen beide Bücher auch in eine Zukunft ohne Patriarchat, Heteronormativität und den sich immer wiederholenden Geschichten von Macht, Unterwerfung und Autorität. Denn wo sich Frauen und queere Menschen austauschen können - sei es auf einem Langboot oder auf Social Media - da wird klar, dass die Unterdrückung Struktur und System hat, dass all die einzelnen Schicksale sich zu einem Gesamtbild verbinden. “For many, many years, there was simply no way for us to speak to one another honestly about what was happening, no spaces to tell a different story about power and desire”, fasst es Laurie Penny zusammen; und: “Alle Lügen verbinden sich zu einer großen”, bringt Schildmaid es auf den Punkt. Erst durch den Austausch, durch das Benennen und Aufzeigen dieser großen Lüge, dieser strukturellen Ungerechtigkeit, ist es möglich, dagegen aufzubegehren und Dinge anders zu machen. Auch wenn das schwer fällt, weil wir alle in den Strukturen aufgewachsen sind, die wir zerschlagen müssen. Auch wenn selbst unsere Geschichten uns erzählen, dass es keinen Ausweg aus dem Kreislauf von Macht und Gewalt gibt, außer selbst nach oben zu kommen und auf andere herabzutreten. Es sei denn …
“Oder wir machen das nicht”, lautet ein sehr einprägsamer Satz aus Schildmaid. Denn vielleicht, wenn wir uns zusammentun, wenn wir uns verbünden und aus unseren gemeinsamen Erfahrungen erkennen, was eigentlich schief läuft, dann ist es doch möglich, Dinge zu ändern. Im Wikingzeitalter vielleicht nur im sehr Kleinen, in der Sexuellen Revolution der Gegenwart vielleicht, hoffentlich, genug, um den Planeten und uns alle noch den Händen der Männer zu entreißen, die an ihrer eigene Macht auf dem Rücken aller anderen festhalten. Oder, um es mit einem letzten Zitat von Laurie Penny zu sagen: “We have the rest of our lives to do this differently.”
Judith empfiehlt:
Ich las “Sechzehn Wege, eine befestigte Stadt zu verteidigen” von K.J. Parker und mochte den flapsigen Stil, den lakonischen Ich-Erzähler und dass es im Prinzip eine Story um Belagerungsgerät ist, die trotzdem an keiner Ecke langweilt. Außerdem find ich es ganz schön “gutsy” von Panini, ein eigenes Fantasyprogramm zu starten und dafür eine Menge sehr guter, aber trotzdem “midlistigerer” englischsprachiger SFF-Titel einzukaufen - darunter auch viele Titel von Frauen, weshalb Vieles davon von meiner "Das wollte ich immer schon mal lesen"-Liste direkt auf meinen Bücherstapel gewandert ist. “Sechzehn Wege” gehörte nicht mal dazu, das war ein Spontankauf in der Buchhandlung, und ich hab es gern gelesen, allerdings hat es ein großes Aber: Wie man es 2019 noch schafft, ein Buch zu schreiben, das neben ca. 150 männlichen Nebenfiguren zweieinhalb weibliche aufweist - bei der Belagerung einer Stadt, aus der alles Militär bis auf die Handwerker ausgerückt ist - das verwundert mich doch sehr. Also, unterhaltsames Buch mit vielen Gedanken dazu, wer Geschichte schreibt und wie - aber dass es den Bechdel Test nicht besteht, ist schon etwas aus der Zeit gefallen und gibt dem ganzen einen echt unnötigen 90er-Vibe.
Elsa Sjunneson, die viele Texte zu Ableismus und Behinderung in der Fantasy und Science-Fiction geschrieben und unter anderem das Uncanny-Magazine-Special “Disabled People Destroy Science Fiction” herausgegeben hat, hat mit “Being Seen” ein autobiografisch-aktivistisches Buch geschrieben, in dem die taubblinde Sjunneson mit der Darstellung in unterschiedlichen Genres und Behinderung als Politikum in allen möglichen Lebenssituationen abrechnet. Das ist immer unterhaltsam und voller witziger Fußnoten, macht meistens ziemlich wütend und ist unbedingt wissenswert für alle, die sich mit dem Thema Behinderung in der Fiktion und Ableismus in der Gesellschaft auseinandersetzen sollten (also uns alle). Gerade frisch Hugo-nominiert!
Und zum Trans Day of Visibility am 31. März gebe ich euch noch ein paar deutschsprachige SFF-Romane mit, die meiner Meinung nach gelungene trans und nonbinary Repräsentation bieten. Ich finde, es werden auf Nachfrage vor allen Dingen englischsprachige Titel oder Übersetzungen aus dem Englischen empfohlen. In James A. Sullivans “Die Chroniken von Beskadur” ist es elementarer Bestandteil des Worldbuildings, dass Geschlecht nicht binär bei der Geburt zugewiesen wird, und Protagonist Ardoas ist die männliche Reinkarnation einer weiblichen Urahnin. Es gibt trans und nichtbinäre Nebenfiguren, spielerisch werden aus dem Namen abgeleitete Neopronomen oder auch binäre Pronomen für nichtbinäre Figuren ausprobiert. Ich finde das sehr schön umgesetzt und in die Welt eingebettet.
Auch in “Die Götter müssen sterben” von Nora Bendzko spielt Transgeschlechtlichkeit eine wichtige Rolle: Bendzko stellt die unangenehmen Fragen - unterdrückt auch eine kriegerische weibliche Gesellschaft genderqueere Menschen? Und wenn Amazonenköniginnen ihre assigned-male-at-birth Säuglinge töten oder aussetzen, was bedeutet das für ihre trans Töchter? Diese Themen werden kompromisslos und dennoch sensibel angesprochen, mir hat das sehr gut gefallen, denn female power fantasies müssen diesen Schritt gehen und Bendzko geht ihn ziemlich bravourös.
Noah Stoffers schrieb als Sarah Stoffers “Berlin - Magische Knochen” und führt dort das nichtbinäre Oberhaupt eines Hexenzirkels ein, mit einer eleganten Heranführung an Neopronomen und die eigene nichtbinäre Identität im Vorwort. Das gefiel mir sehr gut.
Im frisch Seraph-preisgekrönten “Knochenblumen welken nicht” von Eleanor Bardilac gibt es nichtbinäre und trans Nebenfiguren - teils menschlich, teils magisch-gestaltwandelnd. Dass beides vorhanden ist, finde ich sehr gut, denn zu oft finden SFF-Autor*innen ja eine magische oder cyborganische Begründung für Transgeschlechtlichkeit, was Bardilac gekonnt umgeht.
In unseren eigenen Büchern findet ihr trans und nichtbinäre Nebenfiguren in “Wasteland” und “Ace in Space” und trans und nichtbinäre Hauptfiguren in “Anarchie Déco” und “Schildmaid”.
Christian empfiehlt:
Liebe Freundinnen haben uns Burgle Bros 2 nahegebracht und ich kann es wärmstens weiterempfehlen. Das Brettspiel, in dem die ganze Verpackung zum Spielbrett digitiert, dreht sich um einen Casino Heist, den man mit einer großen Auswahl skurriler Charaktere mit individuellen Fertigkeiten bestehen muss. Das ganze entwickelt sich von Partie zu Partie in einem Legacy-Modus weiter.
Apropos Legacy: Außerdem möchte ich Jade Legacy empfehlen, den abschließenden Band der Trilogie von Fonda Lee um Kung-Fu-Meets-Der-Pate-Wuxia-Fantasy. Ich habe schon genug über die Vorgänger berichtet, und auch der Abschluss ist phänomenal. Was soll ich hier nur in Zukunft empfehlen, da die Reihe jetzt abgeschlossen ist?
Gut gefallen hat mir der Ultimate RPG Game Master's Worldbuilding Guide von James D’Amato, mit interessanten Sichtweisen auf Magiesysteme, Punk-Genres und Science-Fiction-Gewerkschaften … außerdem gibt es eine Spielhilfe zu Raumjäger-Styles darin!
Und damit endet unser Vreundschaftsbrief für April 2022. Danke fürs Abonnieren und Lesen und bis zum nächsten Monat!
Lena, Judith und Christian